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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Brautführer? Noch nicht aufgetaucht?«
    »Brautführer?«
    »Ramsay und Carroll!«
    »Also, nein, ich... großer
Gott, hoffentlich hat jemand daran gedacht, sie zu wecken«, sagte sie. Die
beiden Jungen hatten immer noch die Angewohnheit, bis mittags zu schlafen.
    »Vielleicht sollten Sie ihnen Bescheid
sagen«, riet Driscoll. Sie schaute ihn abwesend an. Eliza, die mit einer
dreistöckigen Kuchenetagere vorbeisegelte, fragte: »Wieso brauchen wir
Brautführer, wir sind doch ganz in Familie und höchstens ein Dutzend...«
    »Damit diese bildhübschen Brautjungfern
jemanden zur Seite haben«, erklärte Driscoll und zwinkerte den Zwillingen zu.
Marie-Claire kicherte, und Thérèse, die kerzengerade dastand, warf ihm einen
feierlich schmachtenden Blick zu; ihr Kleid stand wie ein mintgrünes
Spitzenzeit von ihr ab.
    Delia gab auf und verließ die
Küche. Sie ging jetzt feststellen, ob Susie nicht doch heiraten wollte. Wer
weiß? (In dieser Gesellschaft war alles möglich, vielleicht richtete sie gerade
ihren wundersam wiederhergestellten Schleier.) Und wenn, dann sähe Delia nach,
wo die Jungen steckten, weckte sie und sah zu, daß sie sich anzogen.
    Aber die Jungen waren bereits
unten, standen in ihren Anzügen neben der Haustür. Sie sahen überwältigend erwachsen
aus — Ramsays Kinn war männlich-eckig, beinah stattlich, Carroll, so drahtig
wie eh und je, aber größer und mit ausgeprägterem Gesicht. Bei ihnen stand
Ramsays Freundin, Velma; sie trug ein rosenrotes, schenkelkurzes Minikleid, das
einem umgekehrten Blütenkelch glich, daneben ihre kleine Tochter (wer? oh,
Rosalie) in Aquablau. Ramsay sagte: »Hallo, Ma«, und küßte Delia auf die Wange;
Carroll ließ sich von ihr umarmen, und Velma meinte: »Oh, hallo! Wie war die
Reise?«
    »Prima«, sagte Delia.
    So würden sie also mit ihr
umgehen. Offenbar hatte sie in den Köpfen der Anwesenden eine bequeme Nische
zugewiesen bekommen: sie war ein weiteres Exemplar jener übergeschnappten
Ehefrauen, die jahrein, jahraus irgendwo ein See-Apartment bewohnten oder auf
einer Farm in Virginia Pferde züchteten, während die Männer in Baltimore ihrem
Alltagstrott nachgingen. Keiner dachte sich etwas dabei.
    Sie bahnte sich einen Weg durch
die versammelten Gäste, lächelte, grüßte vage. Sams Onkel Robert drückte ihr
schmerzhaft die Hand, hörte gleichzeitig weiter gespannt Malcolm Avery zu, der
von einem Golfturnier berichtete. Sam half seiner Tante Florence aus ihrem
schwarzen Gummiregenmantel, der so starr und stabil aussah, als stünde er von
selbst.
    »Woher wissen wir, wann es
losgeht?« fragte jemand neben Delia.
    Es war Eleanor, in einem
grauseidenen Hemdblusenkleid. »Oh, Eleanor!« rief Delia und warf ihre Arme um
die dünne Gestalt.
    »Hallo, Liebes«, sagte Eleanor
und tätschelte sie an der Schulter. »Wie schön, daß du extra gekommen bist.«
    »Natürlich bin ich gekommen!
Was denn sonst?«
    »Mir ging gerade durch den
Kopf, wie die Braut hereingeführt wird«, sagte Eleanor beschwichtigend. »Ist
irgendeine Musik geplant? Susie war bei allen Vorbereitungen bewundernswert
vernünftig, aber woher wissen wir, wann die Braut hereinkommt?«
    »Eleanor, ich bin mir nicht
sicher, ob es überhaupt eine Braut gibt«, sagte Delia. »Sie behauptet, sie hat
es sich anders überlegt.«
    »Ach. Also, dann willst du
sicher zu ihr«, meinte Eleanor ungerührt. »Lauf schnell; ich komme schon
zurecht, Liebes.«
    »Vielleicht sollte ich das wirklich«, erwiderte Delia und eilte die Treppe hinauf.
    Susie war jetzt allein, trug
Jeans und Slippers, lag gemütlich auf dem Klappbett und las People. Sie
schaute interessiert hoch, als Delia an den Türrahmen klopfte. »Oh, hallo«,
sagt sie. »Spielen sie da unten schon verrückt?«
    »Na, ja, sie wissen noch
nicht... genau, was los ist«, sagte Delia. »Susie, soll ich Driscoll mal
hochschicken?«
    »Driscoll ist da?«
    »Im Hochzeitsanzug und wartet,
daß du runterkommst und ihn heiratest.«
    »Mist«, sagte Susie und ließ
die Zeitung sinken. »Als hätte ich ihm nicht klipp und klar meine Meinung
gesagt.«
    »Und seine Eltern sind da, und
Dr. Soames — «
    »Hast du mit dem Makler
gesprochen?« fragte Susie.
    »Ich habe eine Nachricht
hinterlassen.«
    »Mama! Es ist wichtig, wirklich
wichtig. Wenn ich den Vertrag nicht rückgängig mache, muß ich bis an mein
Lebensende blechen, kapierst du das? Ich bin die, die unterschrieben hat. Und
vor Driscolls Schwester wollte ich es nicht sagen, aber ich bin arm wie

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