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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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direkt.«
    Velmas farbloses Kind suchte
sich zum Sitzen den großen Ohrensessel aus; sie reichte mit ihren
Schnallenschuhen nicht auf den Boden. Ein junger Mann, den Delia nicht kannte —
sicher ein Verwandter von Driscoll — , verfrachtete Eliza auf die Sitzbank, und
Linda ließ sich ohne Begleitung darauf nieder und zog verstohlen ihre Pumps
aus. »Kommt sie?« mimte sie, als sie merkte, daß Delia ihr einen Blick zuwarf.
Delia zuckte nur die Achseln und sah wieder nach vorn.
    Jetzt stand Driscoll neben Dr.
Soames, befingerte die Blume in seinem Knopfloch. Und die Brautjungfern
drängelten unten an der Treppe, wo sich die Brautführer zu ihnen stellten, als
der letzte Gast einen Platz angewiesen bekommen hatte.
    Sam beugte sich zu Delia. »Soll
ich die Platte auflegen?« fragte
    er.
    »Welche Platte?«
    »Ist sie fertig?«
    »Oh«, sagte sie. »Also, nein,
ich glaube nicht.«
    Er richtete sich auf und
starrte sie an. Er sagte: »Solltest du dann nicht etwas unternehmen?«
    »Was denn?«
    Er gab keine Antwort. Seine
Lippen waren sehr trocken und weiß. Delia strich ihren Rock glatt und lehnte
sich in Erwartung der Dinge, die da kamen, zurück.
    Ihr war vorher nie aufgefallen,
daß man Sorgen wie einen Gegenstand jemandem aufladen konnte. Sie hätte das vor
Jahren tun sollen. Warum konnte Sam das immer so gut?
    Er hantierte jetzt neben Delia
am Plattenschrank aus Walnußholz. Knopfklicken, und gleich darauf tönte eine
Fanfare. Delia erkannte die Titelmusik aus Masterpiece Theatre. Insgeheim fand sie diese Wahl ein bißchen zu dramatisch, und vermutlich ging es
Eleanor genauso: sie schniefte. Alle übrigen Gäste jedoch saßen ehrfürchtig
schweigend da, als Sam das Zimmer verließ. Delia hörte seine Schritte durch den
Flur und beherzt die Treppe hinauf. Anscheinend sollte es wie bei ihrer
Hochzeit damals ablaufen: der Brautvater führte die Braut die Treppe hinab
durch die Doppeltür mitten ins Wohnzimmer, direkt unter das Ungetüm von
Messingkronleuchter.
    Doch angenommen, die Braut
stand nicht oben im Flur und wartete?
    Die Schritte waren sicher
weiter gegangen, doch sie wurden von der Musik übertönt. Oder Sam hatte oben
haltgemacht, wo ihn kein Gast mehr sah, war gar nicht zu Susie ins Zimmer
gegangen, um mit ihr zu reden. Wahrscheinlich. Jedenfalls trompetete es lauthals
weiter, während die Gäste sich zulächelten (wie zwanglos und wie familiär
war das alles, dachten sie wohl), und dann kamen die Schritte wieder
herunter. Doch für jedermann war erkennbar, daß keine Braut mit diesen
schnellen, lauten Tritten Schritt hielt.
    Sam kam hereinmarschiert und
stellte sich direkt vor Dr. Soames. Delia überlegte einen Moment, ob er
womöglich einfach, wie geplant, weitermachte — an Susies Stelle sein Jawort
geben wollte. Doch er leckte sich die Lippen und sagte: »Meine Damen und Herren
—«
    Es war Delia, die den
Plattenspieler zum Stillstand brachte. Es war das geringste, das sie tun
konnte, fand sie, denn Sam gab bekannt, es täte ihm zwar leid, seine Gäste
enttäuschen zu müssen, doch die Hochzeit sei ein bißchen verschoben worden.
     
    * * *
     
    »Verschoben« war gut gesagt,
fand Delia. Doch die Gäste empfanden es wohl lediglich als minimales
Koordinationsproblem des zukünftigen Paares. Linda verkündete unwirsch, sie und
die Zwillinge müßten in zwei Tagen mittags ihren Rückflug antreten, sonst verfiele
ihr Ticket, und sie hoffte, verdammt noch mal, Miss Susie dächte in ihren
Plänen auch daran. Dr. Soames blätterte in seinem Terminkalender, nuschelte
etwas über Treffen, Visiten, Baukommission... aber in der zweiten Wochenhälfte
sah es besser aus, meinte er; da sah es geradezu vielversprechend aus.
    Selbst Driscolls Mutter, der
alles am meisten zu Herzen ging, dachte hauptsächlich an den Empfang, den sie
eigentlich nach der Flitterwoche geben wollte. »Ob sie Samstagabend schon
verheiratet sind, was meinst du?« fragte sie Delia. »Könntest du Susie mal ein
bißchen aushorchen? Wir haben dreiundfünfzig unserer engsten Freunde
eingeladen: dich auch, wenn du dann noch da bist.«
    »Vielleicht weiß Driscoll mehr,
wenn sie sich ausgesprochen haben«, sagte Delia. »Ich sage ihm, er soll sich
mit dir in Verbindung setzen, wenn er herunterkommt.«
    Denn Driscoll war zu guter
Letzt endlich nach oben gegangen, um mit Susie zu sprechen. Das hätte er gleich
zu Anfang tun sollen, wenn es nach Delia gegangen wäre.
    Der Regen, der den ganzen Tag
gedroht hatte, hatte nun eingesetzt, und die Gäste

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