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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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die Tür zu. Zwischen den Scharnieren blitzte
ein durchscheinend weißes Dreieck vor.
    »Und dein Schleier? Zeig ihr
deinen Schleier«, drängte Eliza.
    Gehorsam stapfte Susie zum
Papierkorb. »Hier ist mein Schleier«, sagte sie und förderte diverse
Organzafetzen zum Vorschein, dazu einen Stirnreif mit weißen Rosen, kurz und
klein geschnippelt.
    Die beiden Tanten hielten
entsetzt die Luft an. Spence sagte: »Grundgütiger Gott!«
    »Darf ich eine kleine
Vorführung geben?« sagte Susie. Sie schob sich den Stirnreif um den Hals, ließ
den Kopf schwungvoll zur Seite sinken, schloß betörend die Augen und streckte
die Zunge raus.
    »Susan Grinstead!« zeterte
Linda.
    »So«, sagte Susie seelenruhig
und nahm den Kopfschmuck ab. »Ich und Driscoll sitzen gestern abend unten vorm
Fernseher und sehen einen Film. Die Verwandtschaft hat mir die Hölle
heißgemacht, ich müßte die letzten Stunden vor meiner Hochzeit im Hause meiner
Ahnen verbringen.«
    »Wie hätte das sonst auch
ausgesehen?« entrüstete sich Linda.
    Susie ließ den Kopfschmuck in
den Papierkorb fallen. »Also sitzen wir im Arbeitszimmer, wie in alten Zeiten«,
sagte sie, »als das Telefon läutet. Ein Junge ist dran, einer aus der
High-School wahrscheinlich; jedenfalls mußte er ganz schön viel Mut aufbringen.
Er räuspert sich und meint: ›Hm, also! Guten Abend. Kann ich, bitte, Courtney sprechen?‹
Ich sage, er hat sich verwählt. Keine zehn Sekunden später das gleiche nochmal: klingeling! Derselbe Junge. ›Hm, guten Abend. Kann ich bitte —‹ ›Du hast
falsch gewählt.‹ Kaum sitzen wir — Driscoll hat Alptraum der Ulmenstraße ausgeliehen, für ihn der größte Film der Neuzeit —, geht’s wieder los: klingeling! Driscoll meint: ›Laß mich mal.‹ Er nimmt den Hörer ab. ›Yeah?‹ sagt er. Hört
eine Minute zu. Sagt: ›Pech für dich, Kleiner. Courtney will mit dir absolut
nichts zu tun haben.‹ Und knallt den Hörer auf die Gabel.«
    »Oh! Wie gemein!« sagte Delia
unwillkürlich, und Eliza schnalzte empört mit der Zunge. Dann sahen alle zu
Driscolls Schwester. »Verzeihung, Spence«, meinte Delia, »aber wirklich! Der
arme Junge!«
    »Ja, das war echt gemein«,
sagte Spence im Brustton der Überzeugung. Sie strich ihren Rock zurecht. »Aber
so sind Männer, Susie. Da gibt’s nichts!«
    »So sind Männer überhaupt
nicht«, sagte Susie. »Oder wenn ja, Grund genug, keinen zu heiraten. Mit
Sicherheit nicht Driscoll. Und hör sofort auf, ihn zu verteidigen, Spence
Avery! Für mich ist er gestorben, da kannst du sagen, was du willst.«
    Thérèse sagte: »Und wenn er
sich entschuldigt?«
    »Entschuldigt bei wem? Doch
nicht bei mir; meine Gefühle hat er nicht verletzt. Nein, mir ist endlich alles
klar«, sagte Susie. In T-Shirt und Schlafanzughose wanderte sie ziellos durchs
Zimmer. Vor dem Spiegel hielt sie inne, griff sich ins Haar; dann setzte sie
ihren Gang fort. »Alle die Sachen, die ich die ganze Zeit nicht sehen wollte.
Zum Beispiel, wir wollen ausgehen: er fragt: ›Wie sehe ich aus?‹, und ich sage:
›Prima‹, er bedankt sich, aber wie ich aussehe, davon keine Rede. Oder: ich
erzähle, was ich erlebt habe, und er läßt mich nie aussprechen. Immer
unterbricht er mich... verbessert mich andauernd. Zum Beispiel, ich sage:
›Heute ist ein Patient von uns in den Laden gekommen —‹, und schon geht’s los:
›Halt, stopp, woher weißt du, wer bei euch Patient ist? Ist das nicht gegen das
Arztgeheimnis?‹ oder: ›Halt, hat sie genau nach dieser Marke gefragt?‹ oder ›Besser,
du hättest ihr dies gesagt, das gesagt...‹ Bis ich nur noch denke: ›Schnauze!
Schnauze! Schnauze und laß mich bloß zu Ende erzählen, mir tut schon leid, daß
ich überhaupt angefangen habe‹. Und was meinen Laden angeht — «
    Welchen Laden? wollte Delia fragen,
wollte aber nicht wie Driscoll klingen.
    »Keine Minute hat er mich dabei
unterstützt. Oh, anfangs schon, weil er dachte, es sei eine fixe Idee. Er
dachte, das legt sich wieder. Aber als ich mir von Eleanor Geld geliehen habe
—«
    Eleanor hatte Susie Geld
geliehen? (Eigentlich ganz untypisch für Eleanor.) Susie merkte, wie perplex
Delia war, sie erklärte: »Oh, ich habe eine kleine Firma aufgemacht. ›Haus im
Kasten‹ heißt sie.«
    »Ein reizendes kleines
Geschäft«, flötete Linda.
    »Wurde sogar im Baltimore
Anzeiger erwähnt«, bestätigte Eliza, »ein richtig kleiner Artikel: fünf
Zentimeter breit und einen lang.«
    »Ich habe mir eine Wohnung
gesucht«, erzählte

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