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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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mit links ihren einzigen Sohn in jenem makellosen Reihenhaus in der
Calvert Street großgezogen hatte, wo sie jetzt wartete und verkniffen zuhörte,
auf welche dummen Gedanken ihre Schwiegertochter wieder gekommen war.
    Nein, keiner von ihnen würde
den himmlischen blauen Augen des Adrian Bly-Brice standhalten.
     
    * * *
     
    Der Älteste der Handwerker, die
die Klimaanlage einbauten — er hieß Lysander — , fragte, was mit den Heubündeln
war, die von den Dachbalken baumelten. »Das sind Kräuter, die gehören meiner
Schwester«, sagte Delia. Sie hoffte, die Erklärung reichte, doch ihre
Schwester, auch in der Küche zugegen, putzte Bohnen fürs Abendessen und
erklärte: »Ja, die brösele ich in kleine Schalen und verbrenne sie überall im
Haus.«
    »Sie machen Feuer damit?«
    »Jedes Kraut bewirkt etwas
anderes«, erklärte Eliza. »Das eine schützt vor schlechten Träumen, das andere
fördert die Konzentration, und noch ein anderes klärt die Luft nach
zwischenmenschlichen Zwistigkeiten.«
    Lysander sah zu Delia hinüber,
hob seine borstigen grauen Augenbrauen.
    »Also, jedenfalls«, sagte Delia
hastig. »Ist die Arbeit denn bald fertig, was meinen Sie?«
    »Hier bei Ihnen? Oh, nein«,
sagte er. Er ging schwerfällig zum Spülbecken; er war gekommen, um seine
Thermoskanne zu füllen. Er wartete, bis das Wasser kalt aus dem Hahn kam, und
sagte: »Wir brauchen noch einige Tage, mindestens.«
    »Einige Tage!« verschluckte sich
Delia. Sie räusperte sich. »Aber der Lärm: ist der bald vorbei? Selbst die
Katze hat Kopfweh.«
    »Woher wissen Sie denn das?«
fragte er.
    »Oh, Delia kann Katzengedanken
lesen«, erklärte Eliza. »Was Katzen angeht, da hat sie uns allen was
beigebracht: mit welcher Stimme wir sie ansprechen und wie wir ihnen schone
Augen machen und —«
    »Eliza, ich brauche unbedingt
die Bohnen«, unterbrach Delia sie.
    Schon zu spät: Lysander
schniefte, als er seine Thermoskanne unter den Wasserhahn hielt. »Wenn Sie mich
fragen, einen Hund würde ich jederzeit nehmen«, sagte er. »Katzen sind nicht
mein Ding, die sind hinterhältig.«
    »Oh, Hunde mag ich natürlich
auch«, sagte Delia. (In Wirklichkeit hatte sie vor Hunden ein bißchen Angst;
bei denen kannte sie sich nicht aus.) »Hunde sind nur so... plötzlich.
Verstehen Sie?«
    »Na, klar«, sagte Lysander. Es
klang vorwurfsvoll. »Ist es in Ordnung, wenn ich ein paar Eiswürfel mopse?«
    »Nur zu«, sagte Delia.
    Er stand hilflos da,
umklammerte den Hals der Thermoskanne, bis sie begriff, er wollte die Eiswürfel
gebracht bekommen. Garantiert gehörte er zu der Sorte Männer, die keinen
blassen Schimmer hatte, wo zu Hause die kleinen Löffel lagen. Sie trocknete
ihre Hände ab und holte den Eiswürfelbehälter aus dem Kühlschrank.
    »Wo wir zuletzt gearbeitet
haben«, sagte er, »wo wir eine neue Heizungspumpe eingebaut haben, da hatte der
Nachbar einen von diesen Kampfhunden. Auf Nahkampf abgerichtet. Die Dame, für
die wir gearbeitet haben, hatte uns schwer gewarnt.«
    Er hielt die Thermoskanne
unerschütterlich fest, als Delia probierte, einen Eiswürfel hineinzustecken. Er
paßte nicht. Sie schlug mit der flachen Hand darauf (Lysander zuckte nicht mit
der Wimper) und schrie: »Iiih!«, denn der Eiswürfel flog durch die Luft und
schlitterte dann über den Boden. Lysander sah ihm bekümmert nach.
    »Warte, dich krieg’ ich, du
kleiner Teufel«, warnte Delia, schnappte die Thermoskanne und knallte sie ins
Spülbecken. Über den nächsten Eiswürfel ließ sie Wasser laufen. »Aha«, turtelte
sie und ließ ihn hineinplumpsen. Dann bearbeitete sie einen dritten.
    Lysander sagte: »Also, wir
laden einmal lauter Sachen vom Lastwagen, da kommt doch der Kampfhund um die
Ecke. Großes altes Vieh wie ein Wolf, gesträubte Nackenhaare und knurrt wie
wild. Großer Gott, ich dachte, ich sterbe. Taucht doch die Dame auf, für die
wir arbeiten, hat anscheinend nur drauf gewartet. Sagt: ›Komm schön‹,
und faßt ihn am Halsband, brav wie ein Lamm. Bringt ihn nach nebenan und ruft:
›Herr Sowieso! Ich erschieße Ihren Köter, wenn Sie ihn nicht auf der Stelle ins
Haus holen.‹ Klar und deutlich, eiskalt. Das war ‘ne Frau, ich sag’s Ihnen.«
    Wieso erzählte er ihr das?
Wollte er es Delia zeigen? Sie entledigte sich so unauffällig wie möglich des
dritten Eiswürfels. Aus irgendeinem Grund stellte sie sich die Frau wie
Rosemary Bly-Brice vor. Vielleicht war es Rosemary Bly-Brice gewesen.
Gönnerhaft und angeödet bückte sie sich anmutig;

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