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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Pullover übergezogen.
Leuchtende Wolkenberge türmten sich am tintenschwarzen Himmel. Dennoch ging sie
wie selbstverständlich auf ihren Wagen zu, bezwang ihren Drang, sich gegen die
Kälte zusammenzukuscheln. Die Straßenlaternen schienen so hell, sie sah ihren
eigenen Schatten, ein längliches Strichmännchen wie in einer Kinderzeichnung.
    »So war es früher mit Vater«,
sagte sie. Sie mußte laut sprechen, denn Sam holte die schwarze Aktentasche aus
seinem Buick. Hoffentlich fiel ihm nicht auf, wie ihre Stimme zitterte. »All
die Hausbesuche, die ich mit Vater gemacht habe, wir beide ganz allein! Kommt
mir vor wie in alten Zeiten.«
    Sie glitt hinter das Lenkrad
und reckte sich, um die Beifahrertür zu öffnen. Der Wagen war kalt wie ein
Kühlschrank. Er roch sogar nach Kühlschrank — klamm und abgestanden.
    »Vater hat mich natürlich nie
fahren lassen«, sagte sie, als Sam eingestiegen war. Dann fiel ihr ein, sie
brächte ihn womöglich auf einen Gedanken, und lachend fügte sie hinzu: »Du
kennst ja seine Vorurteile! Frau am Steuer...« Sie ließ den Wagen an, schaltete
das Licht ein; die Scheinwerfer strahlten die beiden Flügel der Garagentür und
den zerrissenen Basketballkorb darüber an. »Aber immer, wenn ich noch wach war,
erlaubte er mir mitzukommen. Oh, wie viele Nächte bin ich brav mitgefahren!
Eliza hatte nie Lust, und Linda stritt sich immerzu mit ihm, aber ich war immer
startklar. Liebend gern bin ich mitgefahren.«
    Sam hatte das natürlich alles
schon einmal gehört. Er stellte seine Tasche zwischen seine Füße, während sie
rückwärts aus der Einfahrt fuhr.
    Auf der Roland Avenue sagte
sie: »Eigentlich sollte ich öfter mitkommen, jetzt, wo die Kinder so groß sind.
Findest du nicht auch?« Sie wußte, daß sie immerzu redete, dennoch sagte sie:
»Vielleicht wäre es lustig! Und du mußt ja auch nicht mehr jede Nacht raus,
nicht einmal jede Woche.«
    »Delia, ich schwöre dir, daß
ich immer noch durchaus in der Lage bin, meine gelegentlichen Hausbesuche ohne
Babysitter zu machen«, erklärte Sam.
    »Babysitter!«
    »Ich bin stark wie ein Ochse.
Sorg dich doch nicht immerzu.«
    »Ich sorge mich nicht! Ich
dachte nur, wie romantisch es sein könnte, wenn wir zwei etwas zusammen
unternähmen!« sagte sie.
    Das stimmte zwar nicht ganz,
aber nachdem sie es gesagt hatte, glaubte sie es selbst und war deshalb ein
bißchen verletzt. Sam saß nur zurückgelehnt da und sah aus dem Seitenfenster.
    Zu dieser Stunde war draußen so
gut wie kein Verkehr, die Straßen schienen ihr sehr eben und leer, schimmerten
bleich im Licht der Straßenlaternen, wie unter einem gelbem Chiffonschleier.
Die Bäume mit dem frischen Grün wirkten, so von unten, unordentlich, wie auf
den Kopf gestellt. Da und dort waren im ersten Stock Zimmer erleuchtet, und
Delia schaute sehnsuchtsvoll hinauf.
    Vor dem Haus der Maxwells
parkte sie. Sie schaltete das Licht aus, ließ Motor und Heizung jedoch an.
»Kommst du nicht mit hinein?« fragte Sam.
    »Ich warte im Wagen.«
    »Du frierst!«
    »Um Leute zu sehen, bin ich
nicht richtig angezogen.«
    »Komm mit rein, Dee. Den
Maxwells ist egal, was du anhast.«
    Er hatte wahrscheinlich recht.
(Und die Heizung heizte noch überhaupt nicht.) Sie zog den Schlüssel aus dem
Zündschloß, glitt aus dem Wagen und folgte ihm durch den Vorgarten zu dem
großen, breiten Haus mit den Säulen, in dem die beiden Maxwells allein wie
Würfel im Becher herumklapperten. Alle Fenster waren hell erleuchtet, und die
Innentür stand sperrangelweit auf. Mr. Maxwell wartete drinnen schon, eine
gebückte, massige Gestalt, fingerte an der Fliegengittertür, hakte sie aus, als
sie über die Veranda kamen.
    »Dr. Grinstead!« sagte er. »Vielen
Dank, daß Sie gekommen sind. Und Delia auch. Hallo, meine Liebe.«
    Seine Hose war voll
Essenflecken, und er hatte sie mit dem Gürtel fast bis unter die Arme gehievt,
dazu trug er ein T-Shirt und darüber eine abgewetzte graue Strickjacke. (Früher
war er immer wie aus dem Ei gepellt gewesen.) Ohne innezuhalten, wandte er sich
Sam zu und führte ihn zur Treppe. »Es bricht mir das Herz, sie so zu sehen«,
sagte er, als sie gemeinsam hinaufgingen. »Wie gern würde ich mit ihr
tauschen.«
    Delia sah ihnen vom Flur aus
nach, und als sie außer Sichtweite waren, setzte sie sich auf einen der beiden
antiken Stühle, die ein Vertiko flankierten. Vorsichtig nahm sie Platz; soweit
sie wußte, waren die Stühle Dekoration.
    Über sich hörte sie leise
Stimmen — Mrs.

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