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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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kommen werden.«
    »Ich schließe jede Wette ab«,
sagte Eliza, »morgen, vor Sonnenuntergang sind sie verheiratet. Das habe ich
auch Linda gesagt. Gesagt habe ich: Du brauchst deinen Flug nicht umzubuchen.
Und du? Du fährst noch nicht wieder, oder?«
    »Ich weiß noch nicht.«
    »Laß es«, sagte Eliza. »Sonst
mußt du garantiert auf dem Absatz kehrtmachen und gleich wiederkommen.«
    »Vielleicht hast du recht«,
sagte Delia.
    Der eigentliche Grund, warum
sie nicht abfahren konnte, war Susie — das traurige kleine Gesicht über dem
Törtchen. Aber das sagte sie Eliza nicht.
    Nachdem sie sich verabschiedet
hatte, rief sie Joel an, doch das Telefon läutete und läutete. Sie waren
vermutlich essen gegangen, hatten verschmäht, was sie vorgekocht hatte.
Vermutlich waren sie bei Rick-Rack’s. Sie wußte, was sie bestellen würden,
sogar, wie sie sich unterhalten würden — Noahs überschwengliche Wortkaskaden
und Joels sachliche Antworten. Seine Hände, die ihren Kopf umfaßt hatten. Sein
Mund, fest, aber nicht bedrängend. Sein aufmerksamer Körper, als passe er sich
mit jeder Bewegung ihrer Reaktion an.
    Und nach dem Baby, sagte Ellie,
haben wir uns nur geküßt, die wunderschönsten Küsse...
    Delia hängte ein.
    Als Sam vom Einkaufen zurückkam,
fragte sie ihn (in der Hocke vor dem Eisschrank, die Frage locker über die
Schulter werfend), ob er etwas dagegen hätte, wenn sie bis morgen bliebe.
    »Was sollte ich dagegen haben?«
sagte er.
    Die Antwort war nicht besonders
befriedigend. Doch bevor sie weiter darauf eingehen konnte, schauten Ramsay und
Carroll herein — auf dem Weg zum Videoladen, sagten sie, wollten dort den Film
von gestern abend ausleihen — , und Sam ging hinaus. Delia machte allein das
Abendessen. Alles fiel ihr wieder ein: die komischen kleinen Knubbel auf den
Schrankgriffen, wie der Abzug über dem Herd sirrte. Und sie selbst: In Miss
Grinsteads tannengrünem Kleid mit den altjüngferlichen Riemchenschuhen.
    Rechtzeitig zum Abendessen kam
Susie. Sie saß, in eine Decke gemummelt, am Tisch, sah aus wie ein kleines
Mädchen nach dem Mittagsschlaf. Doch über die Hochzeit sagte sie kein Wort, und
die anderen schnitten das Thema auch nicht an. Danach sahen sie alle den Film —
selbst Sam, seine Brille schimmerte im Dunkeln. Aber eigentlich beobachteten
alle Susie. Kaum gab Susie eine halbwegs humorvolle Bemerkung von sich, lachten
sich ihre Brüder kaputt, Velma kicherte zwitschernd, und Rosalie starrte sie,
ohne eine Miene zu verziehen, durchdringend an.
    Als der Film zu Ende war,
nahmen Ramsay und Velma Rosalie und wünschten eine gute Nacht, Carroll dagegen
erklärte, diesmal schliefe er hier. Delia ging nach oben und bezog sein Bett.
Als sie sein Kissen aufschüttelte, hörte sie, wie Susie auch nach oben ging;
also war nur noch Sam im Arbeitszimmer. Sie ging also nicht mehr hinunter.
Statt dessen holte sie aus dem Wäscheschrank eine weitere Garnitur Bettwäsche
und bezog das Bett in Elizas Zimmer.
    Viel später, als sie im Dunkel
flach auf dem Rücken dalag, hörte sie Sams Schritte auf der Treppe. Er ging
durch den Flur in sein Zimmer, ohne auch nur innezuhalten, und sie hörte, wie
die Tür mit einem Klick hinter ihm ins Schloß fiel.
    Lächerlich, daß sie das so
verletzte.
     
     
     
    20 »Dieser Zuckerstreuer«, erklärte
Linda den Zwillingen, »war ein Geschenk deiner Urgroßtante Mercy Ramsay, als
ihre Schwester achtzehnhundertneunundneunzig Isaiah Felson heiratete.«
    Delia hatte keine Ahnung, woher
Linda das wußte. Die Zwillinge dagegen zeigten sich unbeeindruckt. Sie
bewunderten eingehend Carroll, der Zucker aus dem Streuer über seine
Cornflakes-Schüssel schüttete. Es war vormittags, halb zwölf, und er
frühstückte jetzt. Linda und die Zwillinge hatten bereits gefrühstückt, nachdem
Eliza sie auf dem Weg zur Arbeit vorbeigebracht hatte. Sam hatte sich offenbar
selbst versorgt, bevor er in die Praxis gegangen war, und Susie war noch nicht
wach. Es versprach einer jener Tage zu werden, an dem sich die Hungrigen in der
Küche von morgens bis abends die Klinke in die Hand gaben. Delia selbst
futterte einfach bei jeder Essensschicht fröhlich mit.
    »Mercy Ramsay war damals das
Sorgenkind ihrer Eltern, weil sie nie heiratete«, sagte Linda gerade. »Sie
hatte eine Stelle als ›Schreibmaschinistin‹, wie es so schön hieß, in einer Anwaltspraxis
unten am Hafen.«
    Delia sah zu ihr hinüber.
    Carroll schaufelte jetzt die
Cornflakes in sich hinein, Marie-Claire umfaßte den

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