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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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den
Geschichtshefter bringen, und wenn’s recht ist, komme ich nach der Schule
vorbei, okay?‹ Und ob sie mir noch mal die Straße und Hausnummer sagen kann?«
    »Wow«, sagte Carroll.
    Selbst Sam schien gelinde
interessiert. Er hatte aufgehört, seine Suppe zu löffeln, und beobachtete
Driscoll mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Zum Glück war die Mutter ganz
angetan«, sagte Driscoll. »Rückte sofort mit der Adresse raus — gleich hier um
die Ecke.« Er unterbrach sich, ihm war ein Gedanke gekommen. »Carroll«, sagte
er, »du kennst nicht zufällig irgendwelche Courtneys?«
    »Ich kenne ungefähr sechs oder
sieben Courtneys«, sagte Carroll.
    »Eine auf der Deepdene Road?«
    »Nicht, daß ich wüßte.«
    »Na, jedenfalls«, sagte
Driscoll, »muß ich sie eigentlich nur fragen, wer wohl der Anrufer war.«
    »Aber wenn sie keine Ahnung
hat?« warf Delia ein.
    »Also, irgendeine Ahnung
hat sie bestimmt. Vielleicht ist er in ihrer Clique, macht vielleicht Annäherungsversuche.«
    Sam löffelte kopfschüttelnd
weiter.
    »Also, ich erzähle Susie die
ganze Geschichte. Bitte sie, mit mir nach der Schule zu Courtney zu gehen. Ich
kann doch nicht einfach allein bei ihr aufkreuzen. Ein wildfremder Typ, der sie
ausfragen will... Aber Susie will nicht.«
    »Will nicht?« wiederholte
Linda.
    »Will nicht. Schickt mich
gleich wieder runter. Sagt, ich muß es ohne sie schaffen. Ich soll ihr den
Jungen höchstpersönlich herbringen, wenn ich will, daß sie mir vergibt.«
    Wer die Hand der Prinzessin
gewinnen will, dachte Delia im stillen; die Aufgabe erinnerte sie an gewisse Märchen.
Mittlerweile tat ihr Driscoll ein bißchen leid; obgleich seine gute Laune schon
wieder Oberhand gewonnen hatte. »Also jetzt liegt alles an Ihnen, Mrs. G.«,
sagte er geradezu draufgängerisch.
    »An mir!«
    »Können Sie nach der Schule mit
mir zu Courtney kommen?«
    »Ach, Driscoll, ich — «
    »Ich komme mit!« sagte Thérèse.
    »Ich und Thérèse kommen mit!«
sagte Marie-Claire.
    Driscoll überhörte sie. Er sagte:
»Mrs. Grinstead, Sie ahnen nicht, wie mir zumute ist. Mir ist, als hätte ich...
eine Wolke in der Brust! Erst denke ich, sie ist ein bißchen ausgerastet und
kriegt sich schon wieder ein — und ich bin stinksauer und denke, am besten, ich
übersehe das einfach... aber dann packt es mich. Ich bin, Sie würden sicher
sagen: traurig, aber auch sauer, und schließlich einfach nur angeödet; ich meine, es hängt mir alles zum Hals raus, es hängt mir zum Hals raus, alles
immer wieder durchzukauen, ich selbst hänge mir zum Hals raus; und ich sage
mir: Komm, sieh es einfach so: sei froh, daß du sie los bist. Sie ist dir immer
schon auf die Nerven gegangen, sage ich mir. Aber dann sage ich: Sie soll mir
wenigstens noch eine Chance geben! Ich meine, wie konnte unsere Geschichte so
aus den Fugen geraten? Wann fing sie an, falsch zu laufen, ohne daß ich es
überhaupt gemerkt habe?«
    Sam legte seinen Löffel hin.
Linda seufzte plötzlich. Delia sagte: »Nun ja, ich... also, warum komme ich
nicht einfach mit dir? Ich bezweifle, daß ich besonders hilfreich bin,
aber versuchen kann ich es immerhin.«
    »Oh, Gott, danke, Mrs. G.«,
sagte Driscoll.
    »Ich weiß allerdings nicht, ob
es etwas bringt«, meinte Delia zu ihm.
    »Es bringt etwas«, sagte er und
stand auf. »Wenn die Schulen hier in der Gegend um Viertel vor drei oder drei
Uhr aushaben, und ich hole Sie um...«
    Das war nicht, was Delia hatte
sagen wollen. Sie war der Meinung, daß Susie sich verständlicherweise
vielleicht weigerte, ihn zu heiraten, selbst wenn er Abbitte geleistet hatte.
Doch sie schluckte es herunter. Sie sagte nicht einmal auf Wiedersehen, denn
als Driscoll gehen wollte, läutete das Telefon.
    Diesmal war es Joel. Er sagte:
»Delia?«
    »Ja«, sagte sie ruhig. Sie warf
ihrer Familie einen Blick zu. Alle beobachteten sie — alle außer Sam, der
anscheinend den Tisch betrachtete.
    »Wo stecken Sie?« fragte er.
    Die Frage war dermaßen
unlogisch, daß sie darauf keine Antwort wußte. Sie sagte: »Hm...«
    Wo steckst du, hatte Sam vor
Monaten bei einem anderen Telefongespräch gefragt, und sie überlegte, ob er die
Frage damals genauso gemeint hatte, wie Joel jetzt.
    Dann sagte Joel, als hätte er
sich wieder gefaßt: »Heute mittag, als ich zum Essen nach Hause kam, berichtete
Noah, Sie seien immer noch in Baltimore. Ich dachte nur, hoffentlich ist alles
in Ordnung.«
    »Oh, ja. Bestens«, sagte sie.
    Sie hoffte, die anderen würden
weiterreden, was sie

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