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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Eßbares.«
    »Oh«, sagte Susie. Sie sagte:
»Essen sie das... unten auch alle?«
    »Ja, doch.«
    »Sie essen mein Hochzeitsessen
auf?«
    »Na, ja... sollen sie das
lieber nicht?«
    »Nein, nein!« sagte sie übertrieben
gönnerhaft. Sie griff ein Törtchen.
    Delia war verwirrt. Sie sagte:
»Hätten wir alles aufheben sollen? Wenn du vorhast, doch noch, hm, in nächster
Zukunft... dann nehme ich an...«
    »Nein, habe ich gesagt! Schon
gut.«
    »Also, was hast du vor?
Ich will dich nicht drängen, aber Driscoll meinte... Ich frage nur wegen meiner
Reise.«
    Während Susie von einem
Törtchen abbiß, schaute sie zu ihr hinüber.
    »Wegen meiner Arbeit«, erklärte
Delia.
    »Oh, fahr doch los, wenn du es
so eilig hast!« explodierte Susie.
    »Das habe ich nicht — «
    »Ich staune, daß du überhaupt
gekommen bist! Du und deine dumme Arbeit und dein feiner Freund und deine neue
Familie!«
    »Ach, Susie — «
    »Du hast dich am Strand aus dem
Staub gemacht und Vater ganz allein gelassen: wie sein eigenes Gespenst
geistert er durchs Haus, und deine Kinder... Waisen, und ich muß meine ganze
Hochzeit völlig allein auf die Beine stellen, ohne meine eigene Mutter!«
    Delia starrte sie an.
    »Was hat er getan, Mama?«
wollte Susie wissen. »War er der Grund? Oder wir? Was war so schrecklich? Warum
bist du einfach auf und davon?«
    »Mädchen, niemand hat etwas
getan«, sagte Delia. »Es war gar nicht so klar. Ich wollte dir nie weh tun; ich
wollte dich nicht verlassen! Ich hatte nicht die Absicht... mich von dir zu
trennen, und dann habe ich anscheinend nie den Rückweg gefunden.«
    Sie wußte, wie wenig
überzeugend das klang. Susie hörte schweigend zu, sah sie über das Törtchen
hinweg an, und der Brief, den sie geschrieben hatte — der zwanghaft muntere
Ton, die vielen Ausrufezeichen, das bedacht unbekümmerte Mach’s gut! und Kuß —
, am liebsten hätte Delia geweint. »Mein kleines Mädchen«, sagte sie, »hätte
ich geahnt, daß du bei deiner Hochzeit Hilfe wolltest, ich hätte Himmel und
Hölle in Bewegung gesetzt! Himmel und Hölle!«
    Doch Susie sagte nur: »Würdest
du bitte noch einmal den Makler anrufen?«
    »Ja, natürlich«, sagte Delia
und seufzte, dann bückte sie sich, küßte Susie auf die Stirn und ging hinaus.
     
    * * *
     
    Tatenlos, hin- und hergerissen,
was sie machen sollte (ähnlich jenem inneren Zustand, der sie damals so fern
von zu Hause hatte stranden lassen), blieb Delia den Nachmittag über da,
wartete, daß Susie herunterkam. Doch die Zeit verging, und als sie noch einmal
hinaufging, um nach Susie zu schauen, fand sie sie wieder schlafend; das
Tablett beinah unberührt auf dem Fußboden neben dem Klappbett.
    Sam war in der Praxis,
wahrscheinlich erledigte er — was, sie hatte keine Ahnung, denn Patienten hatte
sie keine gesehen. Die übrigen saßen im Arbeitszimmer vor dem Fernseher, also
machte sie es sich auf dem Sofa neben Velma bequem und tat, als schaute sie
auch zu. Das Gute am Fernsehen war, daß sich zwischendurch alle unterhielten,
zwanglos und selbstverständlich; sie vergaßen, daß sie dabeisaß und zuhörte.
Sie erfuhr, daß Carroll dreimal ein holländisches Mädchen ausgeführt hatte; daß
Ramsays Geschichtsprofessor etwas gegen ihn hatte; daß Velma Rosalie
versprochen hatte, sie dürfe sich die Hände maniküren lassen, wenn sie das
Nägelkauen ließ. Delia erinnerte alles an die Tage, als sie die Kinder und ihre
Freunde ständig zu ihren Veranstaltungen kutschieren mußte; damals hatte sie
auch den neuesten Klatsch gewußt, denn manchmal vergessen Kinder: die Fahrer
haben gute Ohren.
    Niemand erwähnte Susie.
    Sam stand mit einemmal in der
Tür, und als sie ihn ansah, fragte er, wie sie es fände, wenn er fürs
Abendessen einkaufen ginge. Sie freute sich kindisch. Sie sagte: »Ja, warum
nicht«, und dann wünschte sie sich alle ihre Leibgerichte — Estragon-Hähnchen,
ihren Hörnchennudel-Salat. Sie ging in die Küche und schrieb eine
Einkaufsliste. Sie wartete, daß Sam sie einlud mitzukommen, aber das tat er
nicht.
    Eliza rief an — ihr zweiter
Anruf in zwei Stunden. »Also, wie steht Driscoll dazu? Sag nicht, er läßt sie
einfach gewähren.«
    »Es scheint nicht so«, sagte
Delia. Sie hatte das Gespräch am Telefon in der Küche angenommen, brauchte also
nicht leise zu sprechen. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte
sie. »Susie schläft fest, Driscoll ist verschwunden, und der Rest von uns sitzt
einfach da und wartet auf die Dinge, die da

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