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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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vollem Mund. Schließlich drehte Delia die Flamme unter der Suppe
klein und sah nach, wer draußen war.
    Im sonnenglänzenden
Türfensterchen stand Driscoll Avery, blickte gedankenverloren seitwärts und
pfiff. Pfiff, du meine Güte.
    Delia öffnete die Tür und
sagte: »Hallo, Driscoll.«
    »Halli, hallo, Mrs. G.!« sagte
er und trat ein. »Superwetter.«
    Das stimmte allerdings. Über
Nacht war es Herbst geworden, frostig und gestochen klar; Driscolls Wangen
glühten rosig. Er war herbstlich angezogen, wie fürs Wochenende, obwohl
Dienstag war. Delia schloß die Tür gegen die kühle Luft. »Komm in die Küche
frühstücken«, sagte sie. »Oder mittagessen, wie du willst.«
    »Nein, danke. Ich muß nur ganz
kurz Susie sprechen.«
    »Ich nehme an, sie ist wach,
aber sie war noch nicht unten«, erklärte Delia.
    »Kann ich nach oben gehen?«
    »Oh, ich weiß nicht, ob — «
    »Bitte, Mrs. Grinstead, ich glaube,
ich hab’s! Ich weiß, wie sie mich heiratet!«
    Delia sah ihn skeptisch an,
doch er fragte: »In Ordnung?« und ohne auf ihre Erlaubnis zu warten, schlug er
einen Haken und stürzte die Treppe hoch.
    Sie brauchte echte
Willenskraft, um nicht zu horchen.
    Als sie wieder in die Küche
kam, warteten alle. »Na?« fragte Linda.
    »Es war Driscoll.«
    »Driscoll!« sagten die
Zwillinge im Chor.
    »Er ist nach oben gegangen und
redet mit Susie.«
    Die Zwillinge schoben ihre
Stühle vom Tisch zurück. Linda sagte: »Ihr bleibt, wo ihr seid!«
    »Können wir nicht —«
    »Sie kommen nie miteinander
klar, wenn ihr zwei ihnen auch noch auf die Nerven geht.«
    Delia kehrte wieder an den Herd
zurück. Sie rührte in der Suppe, bis diese köchelte, und goß sie dann in eine
Schüssel — eine trübgraue Flüssigkeit, die sie an Spülwasser erinnerte.
    »Maulwurfsuppe«, sagte sie, als
sie Sam die Schüssel vorsetzte. Das Wort gefiel ihr, und sie mußte kichern. Sam
schaute sie scharf an.
    »Danke, Delia«, sagte er
bestimmt.
    Die Zwillinge quälten Linda
wegen der Brautjungfernkleider. Durften sie sie jetzt gleich anziehen? Delia
legte einen Löffel neben Sams Schüssel, und er bedankte sich noch einmal. »Pack
deine Bücher zusammen«, befahl er Carroll, »ein halber Schultag ist besser als
kein Schultag.«
    »Ich warte nur noch, was
Driscoll sagt«, erklärte Carroll.
    »Driscoll hat damit nichts zu
tun.«
    »Allerdings, wenn sie doch
heiraten. Außerdem, ich habe hier keine Bücher. Sie sind bei Velma. Was sagst
du nun?«
    Sam begann seine Suppe zu
essen, blieb aufreizend ruhig.
    »Ich bin die ganze Zeit seit
den Sommerferien ohne deine Kommentare in die Schule gegangen«, griff Carroll
ihn an. »Kaum bin ich unter deinem Dach, werde ich wie ein Zweijähriger
behandelt.«
    »Du benimmst dich auch wie ein
Zweijähriger«, sagte Sam.
    Carroll schob sich vom Tisch.
Sein Stuhl kratzte über den Boden, und fast wäre er mit Driscoll
zusammengestoßen, der gleichzeitig im Durchgang zum Eßzimmer auftauchte.
»Hallo, ihr alle«, sagte Driscoll.
    »Driscoll!« quietschten die
Zwillinge. »Was hat sie gesagt? Hat sie ja gesagt?«
    Sie hätten wissen können, daß
es nicht so war. Viel zu schnell war Driscoll wieder heruntergekommen, und
obendrein hätten sie ihm die schlechte Nachricht vom Gesicht ablesen können,
das gar nicht mehr rosig wirkte, sondern finster, breiter ums Kinn. Er seufzte
tief und drehte sich um — einen Moment schien es, als wollte er gehen; aber
nein, er holte einen Stuhl aus dem Eßzimmer. Er schleppte ihn in die Küche,
stellte ihn neben Carroll und setzte sich schwerfällig. »Sie sagt, ich muß es allein
tun«, sagte er.
    »Was tun?«
    »Versteht ihr, die ganze Nacht
habe ich nachgedacht und nachgedacht«, sagte er. Er sprach in Delias Richtung,
die wieder an ihrem Platz am Tischende saß. »Ich dachte, was will Susie nur?
Und dann die Erleuchtung: Ich muß die Sache mit dem Jungen am Telefon wieder in
Ordnung bringen. Aber dessen Namen kennt doch nur das Mädchen, das er anrufen
wollte — Courtney. Also habe ich mir heute morgen das Telefon vorgenommen, habe
alle möglichen und unmöglichen Nummernkombinationen gewählt und immer nach
Courtney gefragt.«
    »Der Herr erbarme sich«, sagte
Linda.
    »Es ist einfacher, als es sich
anhört. Eigentlich mußte ich nur zwei Zahlen umstellen, mehr nicht. Beim
zehnten Versuch, oder so, habe ich Courtneys Mutter dran, nehme ich mal an, und
die meint, Courtney ist in der Schule.«
    »Aha«, sagten beide Zwillinge.
    »Ich also: ›Ich soll ihr

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