Kleine Abschiede
Küchenunterschränke verschanzte. Delia kannte ihn gut genug,
sie ließ ihn höflich in Ruhe, aber die Zwillinge konnten es nicht lassen und
lauerten nach dem Abendessen mit einem Teller Essensreste an der Schranktür,
versuchten ihn zum Vorschein zu locken. »Komm, Vernon, schöner Vernon.«
Seine einzige Antwort war jene entmutigende Stille, die Katzen ausstrahlen,
wenn sie mit sich allein sein wollen. »Oh«, jammerte Marie-Claire, »was sollen
wir denn tun? Er verhungert bestimmt.«
»Ein Problem weniger«, erklärte
Sam. »Nur die Haltung lebender Haustiere ist verboten.«
Sam war den ganzen Tag
irgendwie abwesend, schien es Delia.
So saßen die Erwachsenen am
ersten Abend, anstatt einen Strandspaziergang zu machen oder in der Stadt Eis
zu essen, im schlecht beleuchteten Wohnzimmer, wo es nach Petroleum roch, und
lasen zerfledderte Zeitschriften, Hinterlassenschaften früherer Mieter, und
horchten, wie der Regen gegen die Fenster trommelte. Die Zwillinge waren noch
in der Küche, plagten Vernon. Susie und die Jungen hatten den Plymouth
ausgeliehen und waren nach Ocean City gefahren, was Delia beunruhigte, weil
ihrer Ansicht nach Ocean eine einzige riesige Autorennbahn war, wo betrunkene
Collegestudenten Anrempeln spielten. Aber sie verscheuchte den Gedanken und las American Deck und Patio.
»Wenn morgen nicht die Sonne
scheint«, sagte Linda, »können wir vielleicht einen kleinen Tagesausflug in die
Gegend hinter Salisbury unternehmen. Ich möchte den Zwillingen zeigen, wo ihre
Vorfahren herkommen.«
»Oh Linda, nicht wieder dieser
verdammte Friedhof«, sagte Eliza.
»Na, wenn du meinst. Dann leiht
mir den Wagen, und ich fahre allein mit ihnen hin. Das habe ich letztes Jahr
auch getan, wenn ich mich recht erinnere.«
»Genau, und letztes Jahr kamen
die Zwillinge heulend und nörgelig wieder, so haben sie sich gelangweilt. Was
interessieren die sich für tote Carrolls und Webers?«
»Sie haben sich blendend
amüsiert! Und wo Großonkel Roscoe liegt, will ich auch noch herausfinden,
wenn’s geht.«
»Na, dann: viel Erfolg. Der
Friedhof ist mittlerweile sicher ein Parkplatz, und übrigens hat sich Mutter
mit Onkel Roscoe nie verstanden.«
»Eliza, mußt du mir immer alles
miesmachen?« sagte Linda vorwurfsvoll. »Warum mußt du alle meine Ideen ins
Lächerliche ziehen und runtermachen.«
»Meine Damen«, sagte Sam
zerstreut, während er den Offshore Angler durchblätterte.
Linda fiel über ihn her: »Deine
Damen kannst du dir sparen, Sam Grinstead.«
»Verzeihung«, murmelte Sam.
»Die Stimme der Vernunft!«
»Ganz meinerseits.«
Sie stand beleidigt auf und
ging, um nach den Zwillingen zu sehen. Eliza schloß die Yachting World und starrte trübsinnig aufs Titelblatt.
Linda und Eliza hatten den
Zweiter-Tag-Kater, fand Delia, wie jedesmal — , waren gereizt, angespannt,
typisch, nachdem der Aufruhr über Lindas Ankunft sich gelegt hatte. Einmal
hatte Delia Eliza gefragt, wieso sie mit Linda nicht besser befreundet wäre,
und Eliza hatte geantwortet: »Oh, wer zusammen eine unglückliche Kindheit
verbracht hat, ist nie gut befreundet, habe ich festgestellt. »Delia war
überrascht. War Lindas und Elizas Kindheit unglücklich? Ihre eigene war
geradezu idyllisch gewesen. Aber das zu sagen, verkniff sie sich.
Linda kehrte mit den Zwillingen
zurück, die sich immer noch über Vernon aufregten, und Sam legte seine Zeitung
beiseite und schlug vor, Rommé zu spielen. »Hast du die Karten mitgebracht,
Delia?«
Das hatte sie nicht. Sie wußte
es gleich, als er sie fragte, dennoch durchstöberte sie demonstrativ die Tasche
auf dem Couchtisch. Puzzle, ein Monopoly und ein Parcheesi-Brett kamen zum
Vorschein, aber keine Karten. »Hm«, sagte sie.
»Schon gut«, sagte Sam, »dann
spielen wir Parcheesi.« Seine Stimme klang aufreizend geduldig, was schlimmer
als Schreien war.
Unten in der Tasche stieß Delia
auf den Roman, den sie sich aus der Bücherei geholt hatte. Die Gefangene von
Schloß Clarion, hieß er. Sie hatte ihn vergangene Woche angefangen und fand
ihn langweilig, aber immer noch besser als Gesellschaftsspiele. Als Sam fragte:
»Spielst du mit, Delia?« sagte sie: »Ich glaube, ich gehe ins Bett und lese.«
»Schon? Es ist keine neun Uhr.«
»Also, ich bin müde«, erklärte
sie. Sie wünschte den übrigen eine gute Nacht, und im Hinausgehen verdeckte sie
die Titelseite des Buchs, die sowieso keiner sehen wollte.
Oben schlängelte sich ein neues
Rinnsal von der patschschnassen Badematte den
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