Kleine Abschiede
keiner fände sie je
wieder.
Doch schon merkte sie, wie sich
ihr Tempo verlangsamte. Das erste der Sea-Colony-Apartmenthäuser ragte vor ihr
in den Himmel — die häßliche Strandkolonie mit ihren teilnahmslos monochromen
Hochhäusern wie eine Siedlung auf einer fremden Milchstraße. Sicher, sie konnte
sie umgehen, aber das mysteriöse Summen, wie »Krieg der Sterne«, das die Häuser
ausstrahlten, ließ es ihr kalt den Rücken herunterrieseln. Sie hielt an. In
ihrer Kindheit waren hier Marschland und Wiesen gewesen, hier und da einfache
Cottages. In ihrer Kindheit, sie war sich fast sicher, hatte sie hier mit ihrem
Vater selbstgebastelte Drachen steigen lassen, wo jetzt die Gruppe oranger
Plastikpyramiden Schatten auf ein modernistisches Sonnendeck warf. Einen
Augenblick konnte sie die stumpfen Finger ihres Vaters fühlen, die sich um ihre
Hand an der Drachenschnur legten. Sie strich sich über die Augen. Dann machte
sie kehrt und begann den Rückweg.
Ein Strandwärter saß träge auf
seinem Stuhl, bewachte die Badenden, undurchschaubar hinter seiner dunklen
Sonnenbrille. Ein fetter Jüngling auf einer Luftmatratze landete in der Gischt,
Delia zu Füßen. Sie balancierte um ihn herum, sah nach vorn, entdeckte den
grünweiß gestreiften Sonnenschirm ihrer Familie und die Kinder auf der Decke
gleich dahinter. Sie hatten sich aufgesetzt, und in einiger Entfernung stand
Sam, immer noch glänzend naß. Von hier aus gesehen, schien keiner etwas zu
sagen, denn die Kinder hatten die Gesichter zum Horizont gewandt, und Sam sah
prüfend auf seine Armbanduhr.
Jäh steuerte Delia
landeinwärts. Sie ließ den Ozean hinter sich und bahnte sich einen Weg zwischen
Sandtunneln, — bürgen und Spielzeugsammlungen. Als sie den Holzsteg zur Straße
überquert hatte, machte sie halt, wischte sich den Sand von den Füßen und
suchte nach den Espadrilles in ihrer Strandtasche. Sams Badejacke — ein
marineblaues Stoffbündel — lag darunter, sie zögerte einen Augenblick und zog
sie an, denn sie hatte mittlerweile Sonnenbrand auf den Schultern; sie glühten.
Hätte sie sich von Ramsay die
Autoschlüssel geben lassen, könnte sie jetzt fahren. Auf den Fußmarsch zum
Cottage war sie nicht erpicht. Sie konnte kehrtmachen und die Schlüssel noch
holen. Aber dann wollte sicher irgendwer mitgehen, also verwarf sie diese Idee.
Der Ozean schien weit entfernt
und lange schon fort, ein bloßes Flüstern auf der sonnigen Pflasterstraße mit
ihren stillen Cottages und leeren, aufgeheizten Autos, dem regungslos
aufgereihten Badezeug auf den Wäscheleinen. Sie durchquerte einen Hinterhof,
der ganz sandig war, umging eine Gruppe Mülleimer, die nach Krabben rochen und
auf denen glitzernd blaue Fliegen summten. Dann lag der Highway i vor ihr. Der
Verkehr brauste so schnell vorbei, sie wartete minutenlang, bis sie auf die
andere Seite gehen konnte.
Drüben waren ihre Tritte das
lauteste Geräusch weit und breit — die steifen Strohsohlen klopften im Takt.
Vielleicht, weil sie an ihren Vater gedacht hatte, hielt der Rhythmus Schritt
mit dem Lied, das er ihr vorgesungen hatte, als sie klein war. Sie stakte an
verglasten Veranden vorbei, und ihre Schuhe schlugen den Takt zu »Delia is
Gone«; fragten, wo sie so lange geblieben war, sagten, der Sänger könne nicht
schlafen, weil er die ganze Nacht die kleine Delia barfuß umhergeistern gehört
hatte. Die letzte Zeile mochte sie besonders. Aber war die andere Delia nicht
tot? Ja, offensichtlich: in der allerersten Zeile hieß es doch, die kleine
Delia war tot und nicht mehr da. Doch sie malte sich lieber aus, Delia wäre
davongelaufen. So war es befriedigender.
Ihr Gesicht klebte, und ihre
Schulter schmerzte, wo die Taschenhenkel gegen ihre sonnenverbrannte Haut
scheuerten. Sie wechselte die Tasche auf die andere Seite. Sie war sowieso
gleich da. Sie würde sich auf der Stelle ein großes Glas Eistee machen, und
anschließend ein kühles Bad und ein kleines Tête-à-tête mit der Katze. Zeit,
Vernon unter ihrem Bett hervorzulocken, wo er irgendwann vergangene Nacht
Stellung bezogen hatte. Vielleicht sollte sie das zuerst erledigen.
Sie lächelte einer Frau zu, die
mit einem Koffer aus dem Nachbarcottage kam. »Ideales Badewetter!« rief die
Frau. »Fahre höchst ungern weg!«
»Wirklich perfekt«, sagte Delia,
umrundete einen Transporter in der Einfahrt und stieg die Stufen zum Haus
hinauf.
Drinnen im Halbdunkel war sie
einen Augenblick wie blind. Sie spähte ins Treppenhaus und rief:
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