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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Der hat
garantiert vorher den Kilometerstand aufgeschrieben«, sagte Vernon finster.
    »Sie können doch immer sagen,
Sie haben gedacht, die Batterie muß aufgeladen werden.«
    »Batterie. Sicher.«
    »Wohnt er hier? Im Wagen, meine
ich.«
    »Nöö.«
    »Ich würd’s sofort tun«, sagte
Delia. Sie beugte sich und klappte die Polstersitzbank auf. Genau, wie sie
erwartet hatte, Stauraum für seine Sachen. Sie sichtete Wollenes — Decken oder
Jacken. »Ich würde ein geschlagenes Jahr durch die Gegend gondeln«, sagte sie.
»Echt! Wozu ein großes altes Haus und all die überflüssigen Zimmer?«
    »Tja, aber mein Bruder hat drei
Kinder«, sagte Vernon.
    »Kennen Sie eingebaute
Kaffeemaschinen?« fragte Delia.
    »Hö?«
    Sie hatte angefangen, die Küche
zu inspizieren. Sie war beispiellos winzig und perfekt, mit einer Spüle, so
groß wie eine Salatschüssel, und einem Zweiflammen-Gasherd. Auf einer der
Flammen stand eine eingepaßte Aluminiumkaffeemaschine. »Es gibt Kaffeekannen«,
erklärte sie Vernon, »die kann man überm Herd fest installieren. Zum
Hochklappen. Kein bißchen Platzverschwendung.«
    »Tatsache?«
    »Wirklich, es gibt eine ganze
Serie solcher Haushaltsgeräte. Toaster, Dosenöffner... Elektrische Dosenöffner,
die untern...«
    »Also mein Bruder nimmt, glaub
ich, ‘nen mechanischen, so einen zum Drehen.«
    »Wenn’s nach mir ginge, ich hätte
nur Einbaugeräte.«
    »Der zum Drehen nimmt doch
keinem Platz weg.«
    »Bei mir klappert nichts«,
sagte Delia, »nichts steht im Weg, ich will jederzeit loskönnen, mich hinters
Steuer setzen, und nichts wie weg. Ich reise mit dem Haus auf dem Rücken, wie
eine Schnecke. Halte, wenn ich müde bin. Parke, wo ich Lust habe, egal, auf
welchem Campingplatz.«
    »Aber Campingplätze«, sagte
Vernon. »Campingplätze, die muß man meist vorher buchen.«
    »Am nächsten Morgen sag ich
mir: Gut. Das war’s! und weiter geht die Reise.«
    »Die Gebühren sind auch ganz
schön hoch, wenn der Campingplatz halbwegs ordentlich ist«, sagte Vernon.
»Verflixt. Ist es schon so spät?«
    Er schaute auf die Uhr über der
Spüle. Delia stellte erfreut fest, wenigstens die Uhr war fest an der Wand.
Ihrer Ansicht nach lag hier viel zu viel lose herum — nicht nur die
Kaffeemaschine, auch die unordentlich zusammengelegten Zeitungen, Videofilme
ohne Kassetten und einzelne Kleidungsstücke. »Mir ist unerklärlich«, sagte sie,
»wie man fahren kann, wenn überall alles herumrutscht. Fliegt nicht alles durch
die Gegend, wenn man durch ein Schlagloch fährt?«
    »Nicht daß ich wüßte«, sagte
Vernon. »Aber denken Sie dran, es gehört mir nicht. Und nebenbei, mein Bruder
steht gleich vor der Tür, ich sollte besser machen, daß ich wegkomme.«
    »Am liebsten würde ich
mitfahren«, sagte Delia.
    »Tja. Genau. Also, hat Spaß
gemacht, mit Ihnen zu — «
    »Vielleicht könnte ich ein
Stückchen mitkommen«, sagte Delia.
    »Wann, jetzt?«
    »Nur mal sehen, wie er sich auf
der Straße verhält.«
    »Also... auf der Straße verhält
er sich prima«, sagte Vernon. »Aber ich fahre landeinwärts, wissen Sie?
Überhaupt nicht in Richtung Strand. Fahre die Drei Achtzig bis hinter Ashford,
weit hinter Ashford bis nach — «
    »Ich fahre einfach mit bis
nach, hm, Ashford«, sagte Delia.
    Sie wußte, daß sie ihn nervös
machte. Er stand da und sah sie immerzu an, mit gerunzelter Stirn und leicht
offenem Mund, sein Notizbrett baumelte vergessen in einer Hand. Egal: gleich
würde sie ihn sowieso von der Angel lassen. Sie würde lachen: Ich bin schon
wieder vernünftig, und ihm sagen, daß, wenn sie es genau überlegte, sie
unmöglich mit nach Ashford konnte. Sie hatte schließlich Familie, und die
wunderte sich bestimmt schon, wo sie blieb.
    Und trotzdem, hier stand dieser
Wagen, dieser wunderschöne, vollausgerüstete Wagen, mit dem sie völlig
unabhängig war, mit dem sie auf und davon fahren konnte, ohne auf irgendwen
Rücksicht zu nehmen. Oh, vielleicht konnte sie ihn abkaufen? Was kostete so
etwas? Oder stehlen, meinetwegen — Vernon vor die Tür setzen und losbrausen,
nach Westen fahren, auf Landstraßen, wo kein Mensch sie fand.
    Aber: »Na ja«, sagte sie
bedauernd. »Ich habe schließlich Familie.«
    »Familie in Ashford? Oh, wenn
das so ist«, sagte Vernon.
    Sie brauchte eine Minute, um zu
verstehen. Seine Stirn glättete sich, und er beugte sich vornüber an ihr
vorbei, um die Tür zuzuschieben. Dann warf er sein Notizbrett auf die Bank und
sagte: »Hauptsache, Sie wissen, wie

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