Kleine Abschiede
süßes Kackhänschen.« Belle beugte sich über die Katze und
hielt ihr die lackierten Fingernägel zum Schnuppern hin. »Du Rotznäschen«,
turtelte sie. »Du Schmuddelköpfchen, du Fusselschwänzchen.«
»Mr. Pomfrets Detektiv hat sie
draußen im Regen gefunden«, sagte Delia. »Er hat sie mir einfach in den Arm
gedrückt, ich konnte nichts machen. Ich meine, ich wußte, daß ich sie nicht
behalten kann. Wo kann ich denn die Katzentoilette hinstellen?«
»Ins Badezimmer?« fragte Belle.
Sie kraulte die Katze hinter den Ohren.
»Aber findet sie den Weg?«
»Vielleicht läßt du die Tür
einen Spalt offen, damit sie rein und raus kann«, sagte Belle. »Ooh, fühl mal,
wie weich! Ich weiß sowieso nicht, warum du immer abschließt. In so ‘ner
kleinen Stadt, wer soll dich denn da ausrauben? Wer, meinst du, schleicht sich
hier ein und schändet dich?«
»Na...«
»Glaub mir, Mr. Lamb hat den
Elan nicht.«
Belle kraulte die Katze unterm Kinn,
und sie lehnte selig ihren Kopf zurück. Sie schnurrte, putt-putt, wie ein alter
Ford.
»Ich weiß nicht, ob ich mein
Leben so umständlich machen will«, sagte Delia.
»So ein Umstandskrämerchen. So
ein Unruhestifter.«
Belle hielt in der freien Hand
einen Umschlag, sah Delia jetzt. Deshalb war sie nach oben gekommen. Eleanors
gespreizte Schrift zierte die Vorderseite. Plötzlich war Delia alles zuviel.
Soviel passierte auf einmal!
Aber als Belle fragte:
»Behältst du diesen Winzling oder ich?« antwortete Delia: »Schon gut, ich
behalte ihn.«
»In Ordnung. Wir nennen ihn
Plüschball, wie findest du das?«
»Hmm«, sagte Delia, als
überlegte sie.
In Wirklichkeit mochte sie
keine niedlichen Katzennamen. Und außerdem hatte sie ihn in Gedanken schon
George genannt.
* * *
An jenem Abend las sie Eleanors
Brief erst im Bett. Er war ähnlich wie die anderen: sie bedankte sich für
Delias letzte Karte, berichtete über ihre Arbeit beim Fahrbaren Mittagstisch.
Dein Bedürfnis, neu anzufangen, kann ich nachvollziehen! schrieb sie. (Das
vorsichtige Wort ›nachvollziehen‹ zeigte, wie sehr sie sich mühte, nichts
Falsches zu sagen.)
Und es erleichtert mich, daß Du
aus diesem Grund weggegangen bist. Ich hatte schon gedacht, es sei wegen Sam.
Ich habe mich gefragt, ob er vielleicht sogar wollte, daß seine Frau ihn
verläßt, in diesem Fall könnte man Dir gar nichts vorwerfen.
Aber wenn Dein Neuanfang zu
Ende ist, kannst Du Dir dann vorstellen, Dich wieder mit der Gegenwart
anzufreunden und nach Hause zu kommen? Ich frage nur. Alles Liebe, Deine
Eleanor
Eine Pelzpfote schlug aufs
Papier, und Delia legte den Brief beiseite. Die Katze hatte sich neben ihr auf
der Decke gemütlich eingerichtet. Sie hatte unglaublich viel gefressen und
zweimal das provisorische Katzenklo im Bad benutzt. Offensichtlich fühlte sie
sich schon heimisch.
Sie nahm ihr Buch — Carson
McCullers — und begann ihre Lektüre, wo sie gestern abend aufgehört hatte. Sie
las zwei Geschichten und fing eine dritte an. Dann merkte sie, wie müde sie
war; also legte sie das Buch auf die Fensterbank und knipste ihr Leselämpchen
aus, legte es oben aufs Buch. Das Licht fiel durch den Türspalt, ein gelber
schmaler Schein auf den Dielen. Sie kuschelte sich tiefer in ihr Bett, ohne die
Katze zu stören. Die putzte sich. Sie drückte bei jeder Bewegung wie zufällig
gegen ihre Rippen, aber sie wußte genau, daß es Absicht war.
Wie eigenartig, wenn sie
genauer darüber nachdachte, daß Tiere und Menschen unter einem Dach wohnten!
Wenn Delia jetzt draußen in der Wildnis wäre und dort würde sich ein Tier so
dicht an sie schmiegen, nicht zu fassen!
Sie gähnte und schloß die
Augen, zog die Decke über die Schultern.
Eine der Geschichten, die sie
heute abend gelesen hatte, hieß: »Ein Baum, ein Fels, eine Wolke.« In dieser
Geschichte sagt ein Mann, die Menschen sollten anfangs etwas Einfaches lieben,
bevor sie sich an andere Menschen herantrauten. Zuerst etwas weniger
Kompliziertes, wie ein Baum, oder ein Fels, oder eine Wolke. Der Rhythmus der
Worte schlug in ihrem Kopf einen Takt: Baum, Fels, Wolke.
Zuerst eine Zeit allein, dann
ein, zwei Bekanntschaften, dann ein kleines, wenig anspruchsvolles Tier. Delia
war gespannt, was danach kam und wie es ausgehen würde.
10 Am Sonntag vor Thanksgiving fing
Belle Delia unten an der Treppe ab. »Sag, Dee«, meinte sie. »Hast du am
Feiertag schon was vor?«
»Oh, hm...«
»Möchtest du hier bei mir was
essen?«
»Liebend gern«,
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