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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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drückte die Klinke unüberhörbar
deutlich herunter und zog die Tür mit übertriebener Sorgfalt ins Schloß.
    Im Hinblick auf die Einrichtung
eines vorgesehenen Fonds, tippte
sie, und dann tauchte Mr. Pomfret aus seinem Büro auf, stopfte im Gehen die
Arme in seine Mantelärmel, Mr. Wesley im Schlepptau. »Zehn-Uhr können Sie
absagen«, teilte er Delia mit.
    »Ja, Mr. Pomfret.«
    Er öffnete die Kanzleitür,
schob Mr. Wesley vor sich hinaus, schloß sie dann und kehrte an Delias
Schreibtisch zurück. »Miss Grinstead«, sagte er, »ab jetzt vermeiden Sie bitte
jegliche Kommentare während meiner Beratungen.«
    Sie sah ihm trotzig und
aufreizend harmlos mitten ins Gesicht.
    »Ja, Mr. Pomfret.«
    Er ging.
    Sie wußte, sie hatte es
verdient, dennoch empfand sie es, kaum daß er weg war, als himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Sie tippte hastig und schlecht, die Schreibmaschine schlingerte über den
Schreibtisch, wenn sie den Transportierhebel bediente. Als sie den
Zehn-Uhr-Termin absagte, zitterte ihr die Stimme. Und während der Mittagspause
holte sie sich das Bay-Borough -Stadtblatt, um eine andere Stelle zu
suchen.
    Natürlich wollte sie nicht
wirklich die Stelle wechseln. Aber sie mußte es sich wenigstens eine Weile
ausmalen.
    Das Wetter war rauh und
unfreundlich, und sie hatte nichts zu essen mitgebracht, dennoch ging sie zum
Platz; nach Billard & Cola war ihr heute nicht zumute. Die Parkbänke
standen verlassen da. Die Statue wirkte vermummt und schwerfällig, wie ein
Vogel, der sich gegen die Kälte aufgeplustert hatte. Sie wickelte sich fester
in ihren Mantel und setzte sich auf die äußerste Kante einer feuchten,
eiskalten Bank.
    Welche Genugtuung, einfach zu
kündigen! »Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, Mr. Pompös...« würde sie
sagen. Er wäre hilflos. Er wußte nicht mal, wo das Kohlepapier lag.
    Sie schlug das Stadtblatt auf und suchte nach den Kleinanzeigen. Für gewöhnlich las sie dieses Blättchen
nicht, es war kaum mehr als eine Reklamebroschüre, die vor den Läden ausgelegt
war — mehrere Seiten Sonderangebote und Lokalklatsch. Sie überschlug eine
Annonce zum Choralsingen am Weihnachtsabend auf dem Platz, die Ankündigung
eines Sonderverkaufs im Schuhgeschäft und den Zwischenbericht über eine
Elandschuhaktion für den Weihnachtsbasar. Auf der vorletzten Seite entdeckte
sie vier Stellenangebote: Babysitter, Babysitter, Dreher und »Frau im Haus«.
Arbeitsplätze schien es in dieser Stadt nicht zu geben! Danach kamen die
Verkaufsanzeigen. Ein Dwayne wollte zwei Eheringe verkaufen, billig. Die Frau-im-Haus las sie genauer.
     
    Alleinstehender Vater braucht
Hilfe f/ lebhaften, freundlichen, einnehmenden Jungen. Muß Jungen morgens
wecken können, Frühstück machen, ihn in die Schule schicken, leichte
Reinigungsarbeiten, Einkäufe erledigen, b/ Schulaufgaben helfen, zum
Zahnarzt/Arzt/Großvater/Spielkameraden fahren, ihn zum Sport begleiten, seine
Mannschaft unterstützen, 11-13jährige Freunde bewirten, Abendessen kochen, sich
für Sport im Fernsehen/Computerspiele/Kriegsromane begeistern, nachts zur
Stelle sein bei schlechten Träumen/Krankheit. Führerschein Voraussetzung. Nur
Nichtraucher. Zimmer, Verpflegung, großzügiges Gehalt. Wochenenden und tagsüber
oft frei, außer Ferien/Kranksein/Schnee. Anruf Mr. Miller,
Underwood-High-School 8-5 Mon-Fr.
     
    Delia schnalzte mißbilligend.
Der Mann hatte Nerven! Ansprüche!
    Sie raschelte ungeduldig mit
der Zeitung und faltete sie zusammen. Als ob sich eine Mutter einfach anheuern
ließ! Das war es nämlich, was er wollte.
    Sie stand auf und warf das Stadtblatt in den Abfalleimer. So gut, so schön.
    Sie überquerte die West Street und
warf einen Blick zu den Läden hinüber — Debbi’s und das Kaufhaus und der
Blumenladen. Eine Stelle als Verkäuferin? Nein, dazu war sie zu ruhig.
Kellnerin? Sie vergaß die Nachtischwünsche ihrer Familie schon auf dem Weg in
die Küche. Und sie wußte aus ihren Unterhaltungen mit Mrs. Lincoln in der
Bücherei, daß die Stadt bereits Schwierigkeiten hatte, eine Bibliothekarin zu finanzieren.
    Eigentlich, überlegte sie, als
sie an den sterilweißen Rollos der Fingernägel-Klinik vorbeiging, war eine
Angestellte in mancher Hinsicht besser als eine Mutter — weniger emotional
verwickelt, wahrscheinlich richtete sie weniger Schaden an. Bestimmt schadete
es ihr selbst weniger. Wenn das betreute Kind unglücklich war, kam die
angestellte Frau-im-Haus nie auf die Idee, dafür sei sie verantwortlich.
    Sie

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