Kleine Abschiede
»Ich glaube, von Ihnen hab’ ich schon gehört.«
»Wenn Sie je in Illinois waren. Jerry
Bingle College?«
»Jerry Bingle, hmm.«
»Mittelfeldspieler.«
»Tatsächlich!«
»Und hinteres Mittelfeld im
letzten Semester — «
»Marshmallow«, kommandierte
Greggie.
Er hatte nicht wie andere
kleine Kinder Schwierigkeiten, das L richtig auszusprechen. Er redete sehr
deutlich und manierlich. »Mama? Marshmallow!«
Delia war es schließlich, die
ein Marshmallow aus der Dekoration auf dem Süßkartoffelbrei löste und ihm über
den Tisch auf den Teller legte. Alle übrigen Gäste beobachteten Belle. Mit offenem
Mund und atemlos, wunderbarerweise wiederhergestellt, strich Belle mit
hypnotischen Kreisbewegungen über den obersten Knopf ihres Kleids und fixierte
mit feuchten, langbewimperten Augen hingerissen Donalds Mund.
11 Manchmal befahl Mr. Pomfret
Delia, draußen für einen Klienten die Parkuhr mit Münzen zu füttern. Manchmal
schnipste er mit dem Finger, wenn er sie brauchte. Einmal warf er ihr seinen
Regenmantel entgegen und verlangte, daß sie ihn in die Schnellreinigung um die
Ecke brachte. »Ja, Mr. Pomfret«, murmelte sie. Später überreichte sie ihm den
Reinigungszettel so kühl und professionell wie eine Operationsschwester ein
Skalpell.
Aber jetzt rebellierte doch
etwas in ihr.
»Miss Grinstead, sehen Sie
nicht, daß ich speichere ?« brauste er auf, als sie ihm Briefe zur
Unterschrift brachte, und sie antwortete beherrscht, zu ruhig: »Verzeihung, Mr.
Pomfret«, ohne eine Miene zu verziehen. Wieder an ihrem Schreibtisch, kochte
und zeterte sie in Gedanken: Sie und Ihr dusseliger Computer! Sie und Ihr
dämliches Speichern, Ihr hirnrissiges Suchen und Löschen!
Eines Freitags Anfang Dezember
tauchte unangemeldet ein gebeugter, grauhaariger Mann mit einer Baseballjacke
auf. »Mein Name ist Leon Wesley«, stellte er sich Delia vor. »Es geht um meinen
Sohn Juval. Ob Mr. Pomfret wohl eine Minute Zeit für mich hat?«
Die Tür zum Büro war
geschlossen — es war früh am Morgen, da sah sich Mr. Pomfret die neuen Kataloge
an — , doch als Delia nachfragte, sagte er: »Leon? Natürlich, Leon hat doch
meine Auffahrt gepflastert. Schicken Sie ihn herein. Und wo Sie schon mal da
sind, machen Sie uns eine Kanne Kaffee.«
Es war unmöglich zu überhören,
aus welchem Grund Mr. Wesley gekommen war. Sein Redeschwall begann, bevor er
saß, er sprach, während der Kaffee noch gemahlen wurde, und Mr. Pomfret mußte
ihn bitten, seine Geschichte zu wiederholen. Juval, sagte Mr. Wesley, sollte
direkt nach Weihnachten zur Marine. Eine vielversprechende Zukunft lag vor ihm;
aufgrund seiner Qualifikationen war er ein besonders gesuchter Mann, weil er irgendein
technisches Spezialgebiet beherrschte; was, bekam Delia nicht ganz mit. Und
vergangene Nacht, aus heiterem Himmel, war er bei einem Einbruch festgenommen
worden. War erwischt worden, wie er um zehn Uhr abends durch Hanffs’
Eßzimmerfenster gestiegen war.
»Hanffs!« sagte Mr. Pomfret.
Die Hanffs waren die Besitzer der Möbelfabrik, wie sogar Delia wußte — dem
einzigen Industriebetrieb der Stadt. »Mußten es unbedingt die sein?« schlug er
die Hände überm Kopf zusammen.
Delia ging an den
Vorratsschrank, um Zucker zu holen, und bei ihrer Rückkehr rätselte Mr. Pomfret
immer noch über die unglückselige Wahl der Opfer. »Ich meine, jeder weiß, daß
Reba Hanff Schmuck eindeutig ablehnt und nicht mal ‘n silbernen Löffel
besitzt«, sagte er. »Beide spenden jeden Cent von ihrem Profit irgendeinem
frommen Guru in Indien... Auf welche Beute hat der Junge spekuliert, um Himmels
willen?«
»Und warum, das würde ich gern
wissen«, sagte Mr. Wesley. »Das ist, was ich mir nicht erklären kann. Brauchte
er Geld? Für was? Er trinkt nicht, er nimmt keine Drogen. Hat nicht mal ‘ne
Freundin.«
»Ganz abgesehen davon, daß die
Hanffs die einzige Alarmanlage in ganz Bay Borough besitzen«, sinnierte Mr.
Pomfret.
»Und mit so ‘ner bombensicheren
Karriere vor sich!« fügte Mr. Wesley hinzu. »Wetten, die ist jetzt zum Teufel.
Wieso hat er das getan und alles ruiniert, so kurz vor seinem Weggang?«
»Vielleicht gerade deshalb «,
sagte Delia vernehmlich und stellte zwei Becher aufs Tablett.
»Wie bitte?«
»Vielleicht hat er es getan,
damit er nicht weggehen muß.«
Mr. Wesley starrte sie mit
offenem Mund an.
Mr. Pomfret sagte: »Sie können
gehen, Miss Grinstead.«
»Ja, Mr. Pomfret.«
»Schließen Sie bitte die Tür
hinter sich.«
Sie
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