Kleine Freie Männer
daneben der Almanach, der jedes Jahr
gewechselt wurde. Dann folgte Schafskrankheiten, ein Buch mit zahlreichen Lesezeichen, die von Tiffanys Oma stammten.
Oma Weh war eine Schafexpertin gewesen, obwohl sie
die Tiere ›nur Bündel aus Knochen, Augen und Zähnen,
die nach neuen Möglichkeiten des Sterbens suchen‹
genannt hatte. Andere Schäfer gingen meilenweit, um sie zu holen, damit sie ihre kranken Schafe behandelte. Sie behaupteten, Oma Weh hätte eine spezielle Gabe. Sie
selbst meinte, die beste Medizin für Schafe oder Männer bestünde aus einer Dosis Terpentin, einem deftigen
Schimpfwort und einem Tritt. Kleine Zettel mit Omas
Rezepten für Schafheilmittel ragten überall aus dem Buch.
Die meisten von ihnen beinhalteten Terpentin, einige auch Schimpfwörter.
Neben dem Schafbuch stand ein schmaler Band mit dem
Titel Blumen der Kreide. Die Wiesen des Kreidelands waren voller kleiner Blumen, unter ihnen Schlüssel- und Glockenblumen, die das Grasen der Schafe irgendwie
überstanden. Die Blumen der Kreide mussten zäh und
schlau sein, um die Schafe und die Schneestürme im
Winter zu überleben.
Jemand hatte vor langer Zeit die Bilder der Blumen
koloriert. Auf dem Deckblatt des Buches stand mit
sauberer Handschrift ›Sarah Grizzel‹ geschrieben – das war Omas Name vor ihrer Heirat gewesen. Vielleicht hatte sie
›Weh‹ für besser gehalten als ›Grizzel‹.
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Und schließlich war da noch Mährchen für liebe Kinder, ein sehr altes Buch, das vermutlich aus den Anfängen der Rechtschreibung stammte.
Tiffany trat auf einen Stuhl, nahm es vom Regal und
blätterte, bis sie fand, was sie suchte. Eine Zeit lang blickte sie darauf hinab. Dann stellte sie das Buch zurück, trug den Stuhl zum Tisch und öffnete den Geschirrschrank.
Sie nahm einen Suppenteller, ging zu einer Kommode
und holte das Maßband hervor, das ihre Mutter beim
Schneidern benutzte. Damit maß sie den Teller aus.
»Hmm«, sagte sie. »Acht Zoll. Warum haben sie es
nicht einfach gesagt? «
Tiffany löste die größte Pfanne vom Haken, das
Exemplar, mit dem man das Frühstück für sechs Personen braten konnte. Dann nahm sie Süßigkeiten aus dem Glas
auf der Anrichte und füllte sie in eine alte Papiertüte.
Anschließend, zu Willwolls mürrischer Verwunderung,
griff sie nach der klebrigen Hand des Jungen und kehrte mit ihm zum Fluss zurück.
Dort wirkte noch immer alles völlig normal, aber davon ließ sie sich nicht täuschen. Alle Forellen waren geflohen, und die Vögel sangen nicht.
Sie fand eine Stelle am Ufer mit einem Busch in der
richtigen Größe. Dort klopfte sie dicht am Wasser ein
Stück Holz so fest wie möglich in den Boden und band die Tüte daran fest.
»Süßigkeiten, Willwoll!«, rief sie.
Tiffany schloss die Hand fest um den Griff der Pfanne
und trat hinter den Busch.
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Willwoll wackelte zu dem Pflock und wollte die Tüte
hochheben, aber sie rührte sich nicht von der Stelle.
»Ich will zur Toh-lett! «,rief er, denn diese Drohung funktionierte normalerweise. Seine dicken Finger zerrten an den Knoten.
Tiffany beobachtete aufmerksam das Wasser. Wurde es
dunkler und grüner? Gab es dort Algen? Stammten die
aufsteigenden Luftblasen von einer lachenden Forelle?
Nein.
Sie stürmte aus ihrem Versteck und holte dabei mit der Bratpfanne aus. Das heulende Ungeheuer kam gerade aus
dem Wasser und begegnete dabei der Pfanne – es
schepperte laut.
Es war ein gutes Scheppern, mit einem sehr
eindrucksvollen Oijoijoioioioioioinnnnngggggg.
Das Wesen hing dort für einen Moment, während einige
Zähne und grüne Algenfransen ins Wasser fielen. Dann
rutschte es langsam zurück und versank inmitten einiger großer Luftblasen.
Das Wasser wurde klar und wieder zum alten Fluss,
seicht, eiskalt und mit vielen Kieselsteinen auf dem Grund.
»Will will Süßes!«, schrie Willwoll, der angesichts von Süßigkeiten nie etwas anderes bemerkte.
Tiffany band die Tüte los und gab sie ihm. Er stopfte die Leckereien viel zu schnell in sich hinein, wie immer. Sie wartete, bis ihm schlecht wurde und er sich übergab, und kehrte dann nachdenklich heim.
Im Schilf, ziemlich tief unten, flüsterten Stimmen.
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»Himmel, Bobby, hasse das gesehen?«
»Ja. Wir sollten besser los und dem Großen Mann
sagen, dass wir die Hexe gefunden haben.«
Fräulein Tick lief über die staubige Straße. Hexen möchten nicht beim Laufen beobachtet werden. Es sieht
unprofessionell aus. Es gehört sich auch nicht, beim
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