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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Brunner
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Wild auf. Dann hört man Hörnerklang, die Jagd ist beendet – aber die Dienerschaft war nicht gekommen mit dem verdienten Trunk. Siegfried hatte auf Wein, Met und
lutertranc
(vgl. S. 28) gehofft, undmuss nun mit Wasser vorliebnehmen. Dort an der Quelle tötet ihn Hagen (Av. 16). Das ist, bis auf die dichterischen Überhöhungen, recht realistisch geschildert und musste es wohl auch sein, denn die Zuhörer kannten sich aus.
    Ein besonderer Experte ist Tristan. Der Dichter Gottfried von Straßburg schildert in fast 600 Versen – das braucht eine Vortragszeit von etwa einer Stunde – wie der junge Held fachgerecht einen Hirsch zerlegt und bei der Begegnung mit dem König damit seine höfische Gewandtheit offenbart. Er wird Jägermeister, ein Hofamt, dem die Jäger unterstehen. Das Publikum muss der Darstellung gebannt gefolgt sein. Die gesamte Schlüsselszene des Epos mit dem Minnetrank und der ersten Annäherung von Tristan und Isolde umfasst nur 100 Verse mehr.
    Wildtiere in Fabeln und Legenden haben meistens sehr stereotype Eigenschaften, die ihnen noch in neuzeitlichen Märchen anhaften und die zum Teil schon aus der Antike stammen. Eine Beobachtung verdanke ich einem Verhaltensforscher: Fast alles, was an Schrecken den Wölfen zugeschrieben wurde, dürfte verwilderten Hunden anzulasten sein, denn Wölfe sind normalerweise viel zu scheu, um sich menschlichen Ansiedlungen zu nähern.
    Zu den bekanntesten Tieren des Waldes zählt eines, das zwar überhaupt nie jemand gesehen hat, das aber geschildert wird wie jedes andere tatsächlich lebende Tier, eher noch genauer, wegen seiner besonderen Eigenschaften: das Einhorn. Es ist nicht allzu groß, eher wie ein Kitz. Es kann nur durch eine
reine maget
gefangen werden und ist damit ein Symbol für Christus. Alle waren überzeugt, dass es Einhörner gäbe. Zu den «unveräußerlichen Erbstücken des Hauses Österreich», heute noch in der Wiener Schatzkammer zu besichtigen, gehört neben der erwähnten Achatschale (S. 185) ein Narwalzahn, den man für das Horn eines Einhorns hielt. Dieses «Ainkhürn» wurde 1540 König (Kaiser) Ferdinand I. ge schenkt.
Hunde und Katzen
    Bei Festen und Jagden dürfen Hunde nicht fehlen. Seit vorgeschichtlichen Zeiten wird ein regelrechter Kult um Hunde betrieben. Schon in den frühmittelalterlichen Volksrechten sind spezielle Bezeichnungen für ihre Fähigkeiten überliefert: Da gibt es den Leithund, den Treibhund, den Spürhund, den Biberhund, den Windhund, den Habichthund, einen, der speziell auf Schwarzwild dressiert ist, und natürlich auch die Hirten- und Hofhunde. Schon zur Karolingerzeit klagt der Bischof Jonas von Orléans († 843), indem er eine Passage des Kirchenvaters Augustinus aufgreift:
    Es gibt aber viele, die kehren von der Jagd zurück und kümmern sich mehr um ihre Hunde als um ihre Knechte. Und sie lassen ihre Hunde bei sich schlafen oder bei sich zur Tafel niederlegen und geben ihnen täglich in ihrer Gegenwart zu fressen; ob aber ein Knecht von ihnen den Hungertod erleidet, wissen sie nicht; und was schwerer wiegt, wenn man für ihre Hunde nicht ausreichend gesorgt hat, dann wird wegen eines Hundes ein Knecht getötet. Man sieht freilich in den Häusern einiger Leute prächtige und fette Hunde herumstreifen, Menschen aber bleich und wankend daherkommen
(De institutione Laicali II 23, 216, Übersetzung nach Kortüm).
    Es gibt aber auch die verschiedensten Schoßhunde, die allenthalben in den zeitgenössischen Bildern figurieren. Das vielleicht bekannteste Tier heißt Petitcreiu und bezaubert Tristan in einer betrübten Stimmung; es stammt aus Avalon, dem Feenland, und hat ein Glöckchen umgehängt, dessen Töne jede Depression zu vertreiben vermögen. Tristan muss es seiner Herrin bringen, besteht daher eine entsprechende Heldentat und verlangt dafür das Tierchen. Dessen Eigner bietet ihm stattdessen seine Schwester und den halben Besitz an – aber das lehnt der Held ab; auch das ist wieder eine knappe Stunde Vortrags wert (15.765–16.297). In einer Parabel des «Stricker» (1. Hälfte des 13. Jh.s) mahnt ein Adeliger vor einer Reise seinen Amtmann, zwei Dinge, die ihm lieb sind, inseiner Abwesenheit besonders zu behüten: seine Tochter und seinen Hund – immerhin in dieser Reihenfolge.
    Abb. 26: Schottenaltar, Wien, 1470/80
    Wenigstens in einer Szene ist ein Hündchen auch bei Geistlichen positiv konnotiert: In manchen Darstellungen des zwölfjährigen Jesus im Tempel sitzt ein Hündchen vor dem Kind: Es

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