Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
nur ein Element des höfischen Gesamtkunstwerks, das als Ganzes wahrgenommen wurde. Laien hörten dabei, insbesondere bei lateinischen Texten, wohl nur bestimmte Stichworte heraus, wie die Vergleiche mit David oder Salomon, genossen das Ritual aber insgesamt sehr wohl.
Es war aber nicht alles so bedeutungsschwer, was mit Musik zu tun hatte. Die Tafelmusik musste nicht nur die Geräusche der Servierenden und der Speisenden übertönen, sondern auch insgesamt eine angenehme Atmosphäre schaffen. Manche werden den kunstvollen Vorträgen sogar zugehört haben, mancher Musiker wird indes von der allgemeinen Unaufmerksamkeit frustriert worden sein. Aber fehlen durfte die Tafelmusik nicht.
Ein Element des Festes konnte sein, wenn hochgestellte Personen selbst zum Instrument griffen, wie das von Tristan (vgl. S. 81), aber auch von Ruodlieb überliefert ist, dem Helden einer lateinischen Dichtung aus Tegernsee um 1050. Diese Auftritte zeugten nicht nur von Bildung, sondern auch von Weltläufigkeit, denn man konnte – wie Tristan – zeigen, dass man die neuesten Moden beherrschte. Es gab anscheinend sogar eine Art Wettstreit zwischen Berufssängern und adeligen Personen des Hofes.
Zur Musik gehört auch der Tanz. Er kann einem Umzug auf kleinstem Raum gleichen, einer Selbstdarstellung des Hofes. Der Tanz der Spielleute kann übergehen in Akrobatik und ist reine Unterhaltung. Bauern hingegen können angeblich nicht tanzen – und tun es doch: Das heißt dann bei vornehmen Leuten «springen», und sie ahmen es zu ihrem Gaudium gerne nach.
Das Muster-Fest
Zu Pfingsten des Jahres 1184 hielt Kaiser Friedrich I. Barbarossa in Mainz eine
curia famosissima et celeberrima,
einen sehr berühmten und feierlichen Hoftag, ab.
Ichn vernam von hôhzîte
in allen wîlen mâre,
diu alsô grôz wâre,
alsam dô het Ênêas,
wan diu ze Meginze dâ was,
die wir selbe sâgen,
desn dorfen wir niet frâgen,
diu was betalle unmâzlîch,
dâ der keiser Friderîch
gab zwein sînen sunen swert,
dâ manech tûsend marke wert
verzeret wart und vergeben.
Ich habe von keinem Fest
je erzählen hören,
das ebenso groß gewesen wäre
wie das, das Eneas veranstaltete,
außer dem, das zu Mainz stattfand,
das wir selbst gesehen haben.
Danach brauchen wir uns nicht zu
erkundigen:
Es war ganz unermesslich groß
wo Kaiser Friedrich
zwei Söhnen das Schwert gab
und wo für viel tausend Mark
verbraucht und verschenkt wurde.
Heinrich von Veldeke, Eneas 13.222–237,
übers. nach Dieter Kartschoke
Auf der Ebene zwischen Rhein und Main war eine riesige Stadt aus Hütten und Zelten errichtet worden. Sogar eine Kirche und eine Pfalz aus Holz wurden gebaut. Von solchen temporären Architekturen liest man immer wieder. Auch bei der Hochzeit der Nichte von König Ottokar Přemysl 1264 wurde eine Kirche aus Zeltstangen und Tuch errichtet (Ottokar, Reimchronik 7953–56).
Die Chroniken berichten nur vom Fest selbst und nicht von der mühevollen Vorbereitung. Die erforderte von Seiten des Einladenden einiges politisches Geschick. Die einen konnte man befehlen, die anderen musste man bitten, manche musste man dulden. Viele Gäste mussten alles aufwenden, was sie verfügbar hatten, für die Ausstattung, die Reise, die Vorbereitung des Quartiers und denhöfischen Auftritt. Zuerst suchte man gerne einen Ort auf, der weniger als eine halbe Tagesreise vom Ziel entfernt war. Diener wurden vorausgeschickt, um Quartier zu machen und die Ankunft anzukündigen, und währenddessen wurde geputzt und poliert, um am nächsten Tag mit vollem Pomp auftreten zu können.
Am Pfingstsonntag 1184 fand eine feierliche Festkrönung des Kaisers, der Kaiserin und ihres Sohnes Heinrich VI. statt. Das gab dem hohen Klerus jede Möglichkeit, sich zu produzieren. Die Herrschaften gingen «unter der Krone» – dafür wurden eigene Festkronen hergestellt – zum folgenden Festmahl, bei dem die Fürsten formell ihre Hofämter als Truchsess (Vorsteher der Hofhaltung), Mundschenk, Kämmerer (Aufseher über die Finanzen) und Marschall (vgl. S. 228) ausübten. Dazu kamen viele Knappen und Diener, um den Leuten zu servieren und den höheren Herrschaften vorzuschneiden. Dort kam es, wie fast unvermeidlich, zu einem Streit über die Sitzordnung. Alle bedeutenderen Leute hatten ein Vermögen ausgegeben für die Kleidung; Seide wird erwähnt, Pelz sowieso. Aber auch die Tücher und das Geschirr auf der Tafel waren kostbar. Teller brauchte man nicht, denn das Fleisch wurde auf Brotstücke gelegt, aber man
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