Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Lambert von Ardres († nach 1203). Auch William Marshal (Guillaume le Maréchal, † 1219) startete seine Karriere auf Turnieren, wurde berühmt als der «beste aller Ritter» und Lord Marshal von England, der unter fünf Königen aus dem Hause Plantagenet diente. Über ihn ließ sein Sohn eine Geschichte niederschreiben, ein frühes Werk in anglonormannischer Sprache.
Abb. 27: Zwei in ihrer Zeit berühmte Turnierkämpfer:
Guillaume le Maréchal sticht Balduin von Guînes vom Pferd, aus einer
Handschrift der Chronica maiora des Matthäus Parisiensis
(Cambridge, Corpus Christi College Library, vol 2, p. 85, 13. Jh.)
Die Ausrüstung kostete ein Vermögen, man kann sich den Preis entsprechend dem eines Sportwagens gehobener Klasse vorstellen. Sie ist bei einer Niederlage an den Sieger verloren und muss gegen eine hohe Summe ausgelöst werden. Hinzu kamen die Kosten für Zelte, Pferde, Verpflegung, Unterkunft und Gastung, die besonders hoch waren, wenn das Turnier in oder bei einer Stadt ausgerichtet wurde, aber auch für Geschenke und Personalkosten samt deren Ausrüstung. Ganze Wälder von jungen Fichten, die beim Aufprall auf den Schild dekorativ splittern, werden als Lanzenbei einem Turnier gebraucht. Speere aus Esche, wie sie in der Dichtung immer wieder erwähnt werden, verwendet man nur im ernsten Kampf, sonst wären sie zu gefährlich. Ein Champion macht auch seine Knappen reich mit Beute und mit Lösegeld. Außerdem war es nicht gleichgültig, von wem man besiegt wurde: Man konnte damit renommieren, welchem Helden man sich gestellt hatte, und es bildete sich so eine Art Personenverband (vgl. S. 226) des Siegers.
Uns mag es heute seltsam erscheinen, dass die Dichter nichts dabei fanden, ihre Helden mit allerlei Wunderwaffen zu versehen, die bis heute die Abenteuerbücher füllen. Das kann ein Identifikationsangebot gewesen sein. Welches spielende Kind träumt nicht einmal von Excalibur, dem Schwert des Königs Artus? Eine wundersame Ausrüstung ist keine Erfindung des Mittelalters: Wir wissen, die Rüstung des Aeneas hat ein Gott geschmiedet. Dennoch zeiht ihn niemand ungerechtfertigten Vorteils. Iwein hat ständig einen Löwen bei sich, der ihm immer wieder Hilfe bietet, was ihm bzw. dem Dichter offenbar beim Publikum Applaus einbrachte. In der damals üblichen allegorischen Deutung stellt er einerseits die innere, tierische Kraft Iweins dar, war aber auch Sinnbild für das Recht, in dessen Namen der Ritter sein Abenteuer besteht.
Zweikampf und Gottesurteil
Da der Standpunkt vertreten wurde, dass jeder Freie mit der Waffe für sein Recht einstehen sollte, und jemand, der oder die das nicht kann, einen «Fürkämpfer» suchen musste, waren der gerichtliche Zweikampf und die Fehde normale Elemente des Rechtslebens. Der Zweikampf konnte auch an die Stelle einer Fehde treten. Es herrschte die Vorstellung, dass Gott dem Gerechten zum Sieg verhelfe. Heute würden wir sagen, daraus sei ein so starker sozialer Druck entstanden, dass diese Erwartung sehr häufig in Wirklichkeit eintrat. Das Verfahren wurde jedoch kirchlicherseits lange diskutiert.
Die Idee des Gottesurteils, des Ordals, findet sich in vielen Kulturen und in vielfältigen Formen: Der Griff zum heißen Eisen oder in siedendes Wasser oder Öl gilt dann als Rechtfertigung, wenn die Brandwunde problemlos verheilt. Bei einer anderen «Probe» wird ein Beschuldigter gefesselt ins Wasser geworfen. Was es dann bedeutete, ob die Person unterging oder nicht, das konnte hier und dort verschieden ausgelegt werden. Da eine Reihe von Ordalen im Alten Testament überliefert ist, gab es offenbar anfangs von kirchlicher Seite kaum Widerstand. Bereits seit der Karolingerzeit kamen jedoch Bedenken auf.
Auf dem 4. Laterankonzil 1215 wurde Geistlichen die Teilnahme an solchen Ereignissen verboten. Das Verbot wurde schließlich nach und nach von weltlicher Seite übernommen. Sie blieben aber bis ins 13. Jahrhundert in Gebrauch, und einige Formen lebten in den Hexenprozessen der Frühen Neuzeit wieder auf.
Fehde
Die Fehde galt lange Zeit als ordentliches Rechtsmittel. Sie entsprang der Vorstellung, es gebe eine Racheverpflichtung. Diese findet sich tatsächlich im Alten Testament; dennoch hat die Fehde nichts mit dem Christentum zu tun. Schon früh wurde versucht, durch hohe Sühnezahlungen, die ganze Sippen mitzutragen hatten – das sogenannte «Wergeld» (von
vir,
Mann, d.h. «Manngeld») –, die Blutrache zu vermeiden. Zu bestimmten heiligen Zeiten und
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