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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Brunner
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gefährliche Abenteuer bestehen, ehe sich die Freude wirklich vollendet, aber dafür gibt es dort Blüten und Früchte zur gleichen Zeit. Aus einer anderen Dichtung, in der recht lebensnahe Einzelszenen verarbeitet wurden (S. 89), wissen wir, dass der Obstgarten wirklich in geeigneter Jahreszeit für Feste genutzt wurde. Vor dem Tod konnte man dann immer noch fromm werden (S. 42).
Wege zum Paradies
    Das Paradies ist nicht bloß eine Vorstellung. Es ist nicht gänzlich aus der Welt. In mittelalterlichen Weltkarten liegt im Zentrum Jerusalem, und ganz oben – im Osten, denn dort steht auch der Altar in der Kirche – ist das Paradies eingezeichnet. Das heißt symbolisch, es ist in der Schöpfung gegenwärtig: seine Spitze, das Original.
    Die «Natur» einer Sache ist – in der Vorstellung mittelalterlicher Gelehrter – nämlich nicht das, was wir unmittelbar wahrnehmen, denn die Umwelt ist durch den Sündenfall verdorben. Natur ist das, was dem Schöpfungswillen Gottes entspricht. «Aber frag nur die Tiere, sie lehren es dich, die Vögel des Himmels künden es dir. Rede zur Erde, sie wird dich lehren, die Fische des Meeres erzählen es dir. Wer wüsste nicht bei alledem, dass die Hand des Herrn dies gemacht hat» (Ijob 12, 7–9).
    Man kann also im Buch der Natur den Willen Gottes lesen, und genau das tat Hildegard von Bingen – und setzte damit einen Anfang für die europäischen Naturwissenschaften. Denn sie wollte die Dinge nicht instrumentalisieren, sondern ihren Sinn erfassen. Ihre Heilkunst war ja nichts anderes als jenes In-die-Mitte-Rücken (S. 20), das den ursprünglichen, gottgewollten und daher gesunden Zustand wiederherstellte.
Der Garten
    Die geheilte – und darum auch heilende – Natur war der Garten. Der Mensch kann sich mit Hilfe der göttlichen Gnade, sichtbar gemacht durch die Erlösungstat Christi, seelisch auf die Pilgerschaft zum Paradies begeben. Das ist die spirituelle Seite. Es gibt aber auch, wie immer im ganzheitlichen Denken des Mittelalters, den materiell-sinnlichen Aspekt. Menschen versuchen, ihre Umwelt so zu gestalten, dass diese dem Paradies näher rückt. In dem mit Bedacht gepflegten Garten vereinen sich Nutzen und Symbolik.
    Vom Obstgarten war schon mehrfach die Rede, vom Kräutergarten auch (vgl. S. 65). Vogelsang, Blütenpracht und Duft werden gerühmt, aber auch die Früchte. Der Hausgarten war ein wesentlicher Teil der Nahrungsgrundlage. Für die Gesundheit war er unverzichtbar, vom Kraut bis zur Rose. Deren Duft war sehr beliebt und ihr wurden Heilkräfte zugeschrieben. Der bäuerliche Hausgarten ist/war ein letzter Reflex dieser Kultur, in der Schönheit und Gesundheit miteinander kommunizierende Gefäße sind.
    Den Nutzgarten muss man übrigens, um einen prosaischeren Aspekt einzuschieben, auch bei den Löhnen berücksichtigen: Menschen der verschiedensten Stände mussten nicht ausschließlich von Geld leben, sondern hatten noch ihr Gärtchen. Außerdem bekamen sie oft Deputate von Realien wie Holz, Wein etc. Das gilt bis in die Barockzeit, wo auch höhergestelltes Personal und Künstler teilweise mit Naturalien entlohnt wurden. In spätmittelalterlichen Quellen finden sich Berichte, dass verschiedene Personen vorübergehend um eine Schankgenehmigung ansuchten, um ihre Einkünfte zu Geld zu machen.
    Wie ich an den Monatsbildern des Herzogs von Berry zeigen konnte (S. 66) und im Fachwerk des Petrus de Crescentiis nachzulesen ist (S. 233), konnte die geordnete Herrschaft einen ganzen Landstrich zum Garten machen. Auch dieser Aspekt kommt bis weit in die Neuzeit in der Hausväter-Literatur, ja sogar in Illustrationen zu Rechnungsbüchern zur Geltung.
    Naturkatastrophen bedeuteten dementsprechend für die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, dass etwas Grundlegendes aus dem Gleichgewicht geraten war. Am Beginn des 14. Jahrhunderts erschien wieder einmal der Halleysche Komet, den der Maler Giotto in Padua in ein Bild von der Anbetung der Magier malte (Capella degli Scrovegni). Die übermäßigen Regenfälle in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts trafen auf eine ohnehin schon sehr belastete Umwelt. Im Sommer 1342 fielen Starkregen nach längerer Trockenheit vom Einzugsgebiet der Donau biszur norddeutschen Küste; die Folge waren verheerende Hochwasser.
    Abb. 31: Landnutzung und Erosion in Deutschland seit dem Frühmittelalter,
nach Bork, Landschaften der Erde, S. 173
    In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts mussten die Menschen Hungersnöte (S. 24) und

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