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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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das Herz schlägt, desto mehr ist man bei sich, in sich – und gerade dann dürfen die Sensoren nach draußen ihre Arbeit nicht einstellen. Ein Versteuern, und man liegt, günstigenfalls, im Straßengraben.
    Auch die Konzentration ist eine Frage des Trainings. Radfahren ist eine exzellente Aufmerksamkeitsschule. Stundenlang läuft die Straße wie ein Film an einem vorüber, eigentlich kann nichts passieren, und dann öffnet sich plötzlich eine Autotür, rennt ein Hund auf die Straße, ein jäh aufflammender Gedanke hat das Achtsamkeitszentrum für Sekundenbruchteile lahm gelegt, und das Vorderrad berührt bereits die Bordsteinkante ... Uuups ...
    In der Gruppe, wo man dicht hintereinander fährt, passiert schneller mal ein Sturz, aber allein ist es monotoner – und damit schwieriger, stundenlang konzentriert zu bleiben. Wenn man stürzt, bemerkt man übrigens, dass man sich in einer anderen Sphäre befunden hat, in einem exaltierten Zustand, für welchen der galoppierende Puls mitverantwortlich ist. Von dem erhöhten in den niedrigeren Zustand zurückzufallenist eine Ernüchterung. Deshalb springen viele so schnell und mechanisch wieder auf ihr Rad, sie wollen zurück ins soeben verlassene Kontinuum und merken erst später, welche Blessuren sie davongetragen haben.
    Auch ohne Sturz bricht immer wieder die so genannte Wirklichkeit in den Trancezustand ein, beispielsweise wenn einer dieser Hochbegabten am Lenkrad hupend an mir vorbeifährt und abwechselnd auf einen Radweg und seine Stirn deutet (es sind erstaunlich viele, die offenbar meinen, ich sollte dort Ausflugsfamilien über den Haufen oder mir wenigstens die Reifen kaputtfahren). Oder wenn ich mich doch mal auf ein Stechen mit einem anderen Radler einlasse. Wenn es nach mir ginge, würde ich die Welt, oder sagen wir zumindest: Bayern, an Sonntagen für Einwohner und Besucher schließen lassen. Sämtliche Straßen zehn Stunden für mich allein! Dahinschießen, ohne auch nur den Kopf heben zu müssen. Kein Gegenverkehr, auf den man achten muss, keine lärmenden Motorradfahrer, keine Abgaswolken an den Steigungen. Himmlische Ruhe und reinste Luft.
    Andrerseits: Wer zapft mir dann meine Maß im Biergarten? Und wem soll ich, derweil ich sie leere, auf den Hintern schauen?

Katharsis
oder:
Sauna-Aufguss von innen
    In einer Ästhetik wäre es wohl noch etwas zu früh für ein Katharsis-Kapitel. Nicht aber in einer Philosophie der Passion Radfahren. Es handelt sich nämlich, wie im Vorkapitel angedeutet, um eine permanente Katharsis (im voraristotelischen, auch vorplatonschen Sinne). »Das Feuer wäscht die Seele rein« (Rammstein). Na ja, das ist ein bisschen dick. Auf jeden Fall betreibe ich einen Ausdauersport auch und vor allem wegen seines reinigenden Effekts. Diese Reinigung schließt neben dem Geist, wie beschrieben, selbstverständlich auch den Körper ein, es ist eine semikultische Waschung, die freilich von innen erfolgt. Dazu bedarf es des Schweißes. Unglaublicher Mengen davon. Auch Schwitzen ist ein Segen.
    Das war nicht immer so. Als der HERR zu Adam sprach: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen (Genesis 3, 19), wollte er eindeutig eine Strafe aussprechen. Die im Schweiße, das waren allzeit die Rangniederen; Könige und Kalifen pflegten sich nicht unnötig zu bewegen und allenfalls auftretende Transpirationströpfchen fortwedeln zu lassen, es sei denn, man ging zur Jagd. Das hat sich bekanntlich in der allerneuesten Neuzeit, auch Moderne geheißen, etwas gedreht. Mit dem Siegeszug des Sports im Allgemeinen und des so genannten Breiten- oder Massensports im Besonderen erfuhr auch das Schwitzen eine Umwertung.
    Dennoch hat der Schweiß sein Stigma längst nicht verloren, was damit zusammenhängt, dass er meist und in verschiedenenSchweregraden stinkt. Vor allem bei Unsportlichen. Die hegen folgerichtig auch die größere Aversion gegen ihn. Der Grad der Sportlichkeit lässt sich bei vielen olfaktorisch feststellen (es gibt Gegenbeispiele). Ohne Schweiß aber keine Katharsis. Radfahren folgt in diesem Sinne sehr konsequent dem Reinheitsgebot. Ich benutze überhaupt keine Geruchskosmetika mehr, selten mal einen Deoroller. Es ist nicht mehr nötig. Ich will damit keineswegs sagen, dass dieser Parfüm-Nonsens überhaupt nötig sei, im Gegentum, mitunter riecht das – in der Regel auch noch weit überdosiert aufgetragene – Zeug viel übler, als der Mensch darunter es im naturbelassenen Zustand je könnte. Ich meine: Will man irgendein

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