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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Gesprächspartner ist. Und Zeit müsste er schließlich auch noch mitbringen. Die Wochenenden verbringen die meisten Menschen meiner Altersklasse bekanntlich zeitlückenlos in ihren familiären Klausuren.
    Ich bin keineswegs unglücklich über fehlende Gesellschaft. Für mich ist Radfahren sowieso eine stark selbstbezügliche Tätigkeit. Ich finde es auf eine autosuggestive Weise beglückend, wie an der Schnur gezogen durch die Landschaft zu gleiten. Auf dem Rad weile ich sozusagen in einem Kokon, physisch wie psychisch. Ich bin eine in geschwindigkeitsgeschützter Innerlichkeit dahingleitende Leibniz’sche Monade. Beim Laufen konnte ich diese Distanz zur Umgebung nicht in einem annähernd vergleichbaren Maße herstellen. Vor allem bin ich auf dem Rad unansprechbar. Das Rauschen des Fahrtwindes sorgt für weitere Hermetik. Ich höre meinenAtem und das Klopfen meines Herzens. In der Gruppe wird dieser Effekt zerstört; man muss sich koordinieren, jemandes Tempo anpassen, auf den Vordermann achten und so fort. Die meisten Rennradler, die mir entgegenkommen, fahren wie gesagt allein; sie scheinen das ähnlich zu sehen.
    Es gibt unzählige kleine Straßen, die sich durch die malerische oberbayerische Berg- und Hügellandschaft schlängeln, vorbei an Wiesen und Feldern, an kleinen Wäldchen und Seen, an Dörfern und Klöstern, Kühen und Biergärten. Meistens sieht man die Alpen als Panorama. Über allem der unverschämt blaue Himmel. Hin und wieder halte ich glücksnah oder auch bestürzt inne und freue mich, dass ich das alles sehen darf. Zum Beispiel lag bei einer Mountainbike-Tour so unverhofft wie urplötzlich Oberammergau zu meinen Füßen (ich bin ein ziemlicher Orientierungsidiot, für mich kommt so einiges unverhofft). Es war ohnehin schon ein Blick ins Bilderbuch, doch als ästhetische Zu- und Draufgabe hatte die himmlische Passionsspielleitung veranlasst, dass an diesem relativ bedeckten Tag exakt in der Sekunde, als ich den Ort erschaute, exakt über demselben die tief hängenden Wolken aufrissen und die Sonne wie ein gewaltiger Scheinwerfer auf Oberammergau herabstrahlte. In solchen Momenten würde vielleicht sogar Mister Armstrong anhalten. Wilhelm II., unser beziehungsweise Deutschlands vorerst letzter Kaiser, beobachtete einmal auf der Brücke eines Kriegsschiffes den Sonnenuntergang über dem Skagerrak. Angesichts der Grandiosität des Naturschauspiels, so kabelte Seine Majestät nach Berlin, hätten er und die ihn umstehenden Offiziere impulsiv die Hacken zusammengeschlagen ... – wie krieg’ ich von dieser schönen Anekdote den Bogen zurück zum Rad? Ich sage nur: Naturerlebnisse!
    Jedoch nicht vom Anhalten und Haltung-Annehmen sollhier die Rede sein, sondern zunächst einmal vom Losfahren. Ich will nicht behaupten, dass ich mich jedes Mal dazu überwinden müsste, aber ich staune ständig von Neuem darüber, wie schwerfällig und fern von jeder Leistungsbereitschaft ich an den Start gehe. Die ersten Kilometer fühlen sich manchmal an, als habe ich noch nie auf dem Rad gesessen. Doch nach einer Weile, sobald der Körper voll arbeitet, erlebe ich eine Transformation, die zum Schönsten am Ausdauersport gehört. War der Kreislauf anfangs noch müde, die Muskulatur eher schwer, waren allerlei seelische und körperliche Schlacken unausgeschieden, so ist das nach einer oder manchmal auch erst nach zwei Stunden vorbei. Immer mehr Sauerstoff strömt in Adern und Muskeln. Die Poren schalten auf Ausscheiden. Stauungen lösen sich, Energieströme beginnen zu fließen. Der Körper zapft seine Hauptbatterien an und signalisiert, dass auch diesmal einiges an Kraft zur Verfügung stünde. Vorlust-Gefühle wonneschauern den Rücken hinauf und hinab. Die Lunge wird immer weiter, der Tritt immer leichter. In dieser Phase will es oft scheinen, als gäbe man keine Energie ab, sondern bezöge stattdessen über den Asphalt neue, wie über eine Oberleitung. Nun können die dickeren Gänge eingelegt werden. Nun kann man’s krachen lassen. Nun sollte der erste Anstieg auftauchen.
    Allmählich fährt man in die Vorstufe eines Rausches. Man wechselt in eine andere Sphäre. Das ist bei anderen Ausdauersportarten ähnlich, aber das Runde, Geölte, Maschinenhafte der Pedaldrehungen hat seine spezielle Stimmigkeit. Keine Bewegung hakt, keine ist überflüssig. Man ist wie verwachsen mit seinem Sportgerät, konzentriert sich auf die Straße und das Mahlen der Beine. Dass man sitzt, ist ein wichtiger Aspekt – nicht nur im Sinne

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