Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
ihrerseits beginnen, Marathon zu laufen, Berge zu besteigen, Wüsten zu durchqueren oder – Rad zu fahren. Frauen suchen irgendeinen tieferen Sinn, Männer wollen sich sonstwas beweisen (die Schnittmenge sitzt daheim und wird vorm Fernseher fett). »Das«, sagt eine gute Freundin, »ist doch alles Bullshit. Vorhersehbar. Was soll der Unsinn?«
Recht hat sie, aber eine wirkliche Alternative hat sie auch nicht auf der Pfanne. Es ist ja sogar schwer zu begründen, warum einer Quantenphysik treibt oder Romane verfasst, und selbst eine priapische Existenz wird auf Dauer langweilig und erklärungsbedürftig. Mit einer Formulierung des Daseinsbenörglers Thomas Bernhard glaube ich an die Gleichwertigkeit aller Dinge
(sub specie aeternitatis)
, weshalb die Suche nach Alternativen hiermit als müßig verworfen wird, denn man müsste auch die Alternativen mit immer wieder neuen Alternativen konfrontieren und so letztlich exorzieren. Es soll hier einzig um eine alternativlos dastehende Passion namens Radfahren gehen. Aber die Frage »Was soll der Unsinn?« bleibt natürlich ebenfalls »bolzengerade« (Eckhard Henscheid) im Raume stehen.
Bei dieser Frage handelt es sich übrigens um eine Lieblingsfloskel des alten Fontane; keine, auf die er eine Antworterwartete, eher ein heiter-distanzierter Weltkommentar, resultierend aus der Beobachtung eines Berliner Gemüsehändlers, der einen Straßenjungen dabei erwischt hatte, wie er ihm ins Sauerkrautfass pisste. Als der nämlich dem Pinkler die allfälligen Prügel verabreichte, sagte er wie entschuldigend zu den Umstehenden: »Dem Sauerkraut schadet es zwar nichts, aber was soll der Unsinn?«
Auf unser Thema gewendet: Den Beinen schadet es zwar nichts, aber was soll der Unsinn?
Manchmal läuft es richtig schlecht. Dann genügen zwei, drei Stunden, und ich bin fertig. Dann schwächelt der Kreislauf in scheinbarer Grundlosigkeit – tatsächlich hat er ja immer seine Gründe –, die Beine wollen auch nach dem Warmwerden partout nicht unbeschwert kreisen, die Körpermitte ist schwach bis zum Einknicken, und sogar der Wille hat keine Kraft, sich dagegenzustemmen. Dann wird jeder Hügel zur Zumutung, und mich überholen Fahrer, die es sonst nicht täten.
Seht, sprach Gott, ich will es ihm noch saurer machen. Und sandte mir eine Pollenallergie, die mich seit ein paar Jahren zunehmend malträtiert. Von Frühling zu Frühling wird es ärger. Von März bis Mai kann ich nicht im Freien fahren, allein die Fahrt zur Arbeit ist eine Tortur, mit flachem Atem, tränenden Augen und permanent laufender Nase. Doch selbst im Hochsommer oder im Herbst gibt es Tage, wo irgendetwas in der Luft liegt, die Nase juckt, der Puls zu hoch ist und die Lunge sich angegriffen anfühlt. Eine frisch gemähte Wiese oder ein abgeerntetes Feld am Straßenrand, und ich komme mir vor wie nach einem Zusammenstoß mit dem älteren Klitschko-Bruder. Ich bekomme dann nicht mehr ausreichend Luft, wie karpfenmäßig ich auch danach schnappe. Die Lunge ist einfach am Ende, da mögen die Beine betteln, wie sie wollen.
An solchen Tagen kehre ich um und suhle mich in Trübsinn. Um diesen Sport ernsthaft zu betreiben, denke ich, müsste ich zwanzig Jahre jünger sein. Mich anders ernähren. Anders trainieren. Überhaupt anders leben. Dann denke ich ans Altwerden und daran, dass jetzt wohl der
Point of no return
überschritten ist. Dass die Jugend unwiderruflich vorbei ist. Dass ich von nun an täglich schwächer werde. Bislang ist es mir nicht gelungen, eine solche Schlappe mit Gelassenheit zu nehmen. Ich mache mir vielmehr Vorwürfe, schimpfe mich eine Flasche und so weiter. Erwähnte ich bereits, dass mein linkes Knie im Eimer ist?
An solchen Tagen, wenn mich mein Leib nicht mit Wohlbefinden oder Endorphinräuschen bemogelt, sondern eine seiner wohlverdienten Auszeiten nimmt, will mir der Sinn meiner Exerzitien also überhaupt nicht mehr einleuchten. Dann stehe ich mit mir selber über die Zumessung der Ressource Lebenszeit an bestimmte Beschäftigungen auf Kriegsfuß. Dann reifen in mir Vorsätze, die mitunter bloß am relativ niedrigen Wiederverkaufswert eines Rennrades scheitern. Aber das Rad steht – beziehungsweise die Räder stehen – immer noch da.
Schwächephasen und Depressionen verstreichen, und ein Mann ändert seine Gewohnheiten nicht, wie es in der ›Dreigroschenoper‹ im Sinne einer gewissen Letztgültigkeit
in definitionem masculi
heißt. Mechanisch steige ich am Wochenende für ein paar Stunden aufs
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