Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
Praktisch muss man sich um alle diese Fragen nicht wirklich scheren, weil die Wahrscheinlichkeit, außerhalb der Stadt von der Polizei angehalten zu werden, äußerst gering ist.
Es bleiben jedoch die Autofahrer – respektive jener kleine Prozentsatz derselben –, die, ich sprach es schon an, hupend und gestikulierend und mitunter sichtlich echauffiert bisrammwillig an einem vorüberfahren und offenbar der Ansicht sind, dass die Straße ihnen und niemandem sonst gehört. Da hilft nur der Stinkefinger. Wenn dann mal einer anhält, muss man sich als Radfahrer freilich in Erinnerung rufen, dass auf Klickpedalschuhen schlecht boxen ist.
Es handelt sich um ein sehr deutsches Phänomen; Italiener beispielsweise hupen auch, aber nur, wie schon gesagt, um den Radfahrer anzufeuern. In solchen Momenten habe ich ein gewisses Verständnis dafür, dass sie 1943 aus der Achse scherten, und frage mich, ob ein Endsieg Hitlers dazu geführt hätte, dass man heute auch in der Ukraine angehupt und auf Radwege verwiesen würde.
Wir empfinden diese Welt nur deshalb nicht als höchst sonderbar, weil wir gewohnheitsmäßig in ihr leben. So haben wir uns auch damit arrangiert, dass Millionen jeweils viele hundert Kilogramm schwere Blechhaufen die Straßen bevölkern, deren Fortbewegungsprinzip bislang noch darauf beruht, die in fossilen Stoffen gespeicherte Energie von Jahrmillionen via Verbrennung sekundenschnell in partiell giftige Gase zu verwandeln, welche dann vornehmlich von Fußgängern und Radfahrern inhaliert werden. Aber das ist nicht das Schlimmste, weit übler sind die daraus folgenden Verschandlungseffekte in Kulturlandschaft und Flur. So schreiten die urbanen Flaneure ungerührt Seit an Seit mit einem stinkenden, lärmenden Benzinlindwurm, und nur wenige träumen von einem verkehrsplanerischen Siegfried. Dasselbe auf dem Lande; wie schön könnte es dort sein, besonders als Fahrradfahrer, wenn nicht –
Einmal wird dieses verdammte Erdöl alle sein. Dann stinken sie wenigstens nicht mehr.
Konkurrenz
oder:
Vom gelegentlichen Aufsetzen der Pavian-Maske
Ich habe mich bei meinen Radsport-Exerzitien von niemandem beraten lassen, weder meinen Arzt oder Apotheker gefragt noch einen Trainer oder ein »Vorbild«. Mit Fachliteratur und Trainingsplänen kann oder will ich nichts anfangen. Ich habe niemals eines dieser Mittelchen genommen (nicht einmal Kreatin oder auch nur Eiweißpräparate), obwohl mein Blut viel zu wenig Sauerstoff transportiert. Armstrong hätte mit solchen Blutwerten die Tour de France vermutlich auf Platz 84 oder überhaupt nicht beendet; ich könnte im Gegenzug freilich mit Armstrongs Blut auch nur ungefähr so viel anfangen wie ein Polo mit Kerosin.
Ich fahre nach keinem Trainingsschema, sondern nach Lust und Laune. Ich würde niemals einen Ruhetag einlegen, weil es in irgendeinem Trainingsplan steht, während meine Beine mir signalisieren, dass sie Gassi gehen wollen, und ich würde umgekehrt nicht fahren, wenn ich keine Lust hätte, nur weil es in einem Plan so festgelegt ist. Experten raten, oft im Niederpulsbereich zu trainieren, aber das halte ich nicht lange durch. Ich will das Essen vom Vorabend verbrennen, den Wein ausschwitzen, das Herz pumpen lassen. Niederpuls macht außerdem keinen echten neuen Durst. Im Übrigen kann man bei Niederpuls klar denken, und dann fällt mir auf, was für ein unglaublicher Schwachsinn es ist, seine Lebenszeit für Sport zu verschwenden. Also hoch mit dem Puls.
Vermutlich mache ich also trainingstechnisch alles falsch, aber das ist mir egal. Ich bereite mich schließlich auf keinerlei Wettkämpfe vor. Fahrradfahren ist eine Veranstaltung, die ausschließlich mit mir zu tun hat.
Dennoch passiert es unausweichlich, dass jemand ein Wettrennen veranstalten will. Kaum eine Situation ist mir unangenehmer. Ich betrachte nahezu jede Art von Konkurriererei als Einbruch in die Hermetik meines Privatlebens, welcher sofort zu beenden ist, egal wie. In solchen Fällen fahre ich dem Typen, je nachdem, in welchem Fitnesszustand er sich befindet, entweder davon oder lasse ihn vorbei. Wenn er gleich stark ist, biege ich bei der nächsten Gelegenheit ab.
Manchmal kann ich allerdings nicht abbiegen, oder der andere lässt sich nicht abschütteln. Oder er ist mir aus irgendeinem Grund suspekt. Dann erwacht der Primat in mir. Dann muss die Rangordnung kurzzeitig ausgekämpft werden. Dann kommt es zu kleinen Ausscheidungsrennen unter Konkurrenztieren, von denen sich mindestens eines
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