Kleine Portionen
so.«
Die abartigen Absichten des Schicksals offenbarten sich zu guter Letzt. Andrzej war zufällig auf Roland, meinen Ex-Freund, gestoßen. Man kann sich seine Überraschung vorstellen, als Roland ihn anlächelte, ihn herzlich grüßte, ihn sogar umarmte. Andrzej hatte sich mulmig-erleichtert gefühlt. Er hatte gemeint: »Nichts für ungut, ja? Ich bin froh, dass du die Dinge so leicht hinnimmst. Ich bin froh, dass du nicht mir die Schuld gibst für das, was passiert ist. Eigentlich hoffe ich, du gibst niemandem die Schuld …«
Roland hatte nicht verstanden, worum es ging. Natürlich nicht. Den Brief, in dem ich ihm mitgeteilt hatte, dass es zwischen uns aus sei, hatte er nämlich nie bekommen. Wie sollte er also wissen, was los war? Dass er und ich nicht mehr zusammen waren, erfuhr er genau in dem Augenblick. Kann man sich einen perverseren, unschicklicheren Ausgang vorstellen? Wer will schon vom neuen Freund seines Ex-Freundes aufgeklärt werden, dass alles vorbei und Geschichte ist?
Andrzej hatte seine Entscheidung auf der Stelle getroffen. Er erklärte es mir leise, hielt mir ein Taschentuch hin, während der Chor »Dies irae, dies illa …« sang. Er liebe mich, sagte er. Aber er könne nicht mit jemandem zusammenbleiben, der sich so wie ich benommen habe, sagte er.
Schluchzend lief ich von seinen Erklärungen während des »Lacrimosa« davon. Mein Latein war eingerostet, aber Mozarts Musik drückte deutlich genug aus, was die Worte erzählten. «An jenem Tag der Tränen und der Trauer, wenn aus der Asche die ganze Menschheit aufersteht, um gerichtet zu werden …«
[1] »Ich liebe dich.« auf Polnisch
2000
Wir schrieben den 31. Dezember 1999. Gemeinsam mit Grégoire hatten wir beschlossen, zu Hause zu bleiben. Das heißt, beschlossen hatte er es, und ich spielte mit. Für alle Fälle war eine Flasche Champagner eingekühlt, die ich um Mitternacht öffnen wollte. Grégoires einziges Zugeständnis an Silvester.
Aber um sieben Uhr rief Sandra an. Sie sei auf ein Fest eingeladen, erklärte sie und wollte wissen, ob sie mit einer Flasche Champagner bei uns vorbeikommen könne, um ein wenig vorzufeiern.
Ich sagte: »Warum nicht? Gern sogar.«
Eine halbe Stunde später kam Sandra hereingeflattert, ganz aufgeregt und extravagant. »Das wird so ein tolles Fest werden!«, trällerte sie, während ich mich mit der Flasche Moët abrackerte, die sie mitgebracht hatte. »Pierre, der Typ, der das Fest veranstaltet, ist echt ein Hammer! Ein Maler und sooo talentiert!«
Wir setzten uns ins Wohnzimmer, tranken Champagner und unterhielten uns darüber, was die 2000er jedem von uns bringen würden. Gus Gus wummerte durch die Wohnung. Plötzlich zog Sandra einen kleinen Umschlag hervor. Er enthielt weißes Pulver. »Partypulver!«, überschrie Sandra den Krawall der Musik. »Kommt schon, Jungs! Jetzt ziehen wir uns eine Linie! Das Ende dieser schrecklichen 90er muss gefeiert werden! Die Zukunft gehört uns!«
Da unser Stimmungsbarometer auf festlich-leichtsinnig stand, tat ich so, als würde ich alles kennen und hätte schon alles ausprobiert, und zog eine Linie. Das Pulver kratzte meine Nase hoch und hinterließ einen schrecklichen Nachgeschmack in meinem plötzlich ausgetrockneten Mund. Als ob ich ein Dutzend Aspirintabletten gekaut hätte. Mit einem Mal hörte auch meine Wahrnehmung auf, Bild nach Bild, Ton nach Ton, Eindruck nach Eindruck zu liefern. Alles verlief zu einer nahtlosen Sequenz, einer unaufhaltsamen Strömung. Ohne Gerüche, weil meine Nase zugeschnupft war, sobald das Pulver die Schleimhäute berührt hatte.
Wir legten stampfende House-Musik auf, drehten sie lauter, flogen hoch und fingen an zu tanzen und zu lachen und uns die Überreste des Moët in wenigen, durstigen Zügen in den Rachen zu gießen, und dann wurde die für Mitternacht vorgesehene Flasche geöffnet und in kürzester Zeit geleert, und in der Zwischenzeit überredete uns Sandra, dass wir zu ihrem fabelhaften Fest mitkommen mussten, also zogen Grégoire und ich uns um, ich öffnete eine Flasche Boulaouane, und Sandra und ich tanzten und lachten und tranken weiter und snifften noch ein paar Linien. Irgendwann zog sie sich sogar den Staub auf unserem Wohnzimmertisch in die Nase, weil sie schon so high war, dass sie die fette Linie Koks gar nicht mehr sah, und ich kicherte dazu und applaudierte und kicherte noch mehr.
Dann fuhr Sandra mit uns zu ihrem Freund. Wir kamen um elf dort an, gerade rechtzeitig, um ein weiteres Glas
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