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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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ich heraus. »Ich muss es wissen, verstehst du? Ich kann so nicht weitermachen.«
    »Wovon zum Teufel redest du?« Etienne klang verärgert. »Wie auch immer, das ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt!«
    »Aber das ist es nie!«, schrie ich. »Du sagst mir nie, dass du mich liebst! Ist das zu viel verlangt?«
    Offensichtlich.
    Schweigen. Dann antwortete ein sehr müder, langsamer, gespielt geduldiger Fremder. Der irgendwie doch noch wie Etienne klang. »Können wir diese kindischen Fragen nach der Modenschau regeln? Wenn du willst – wir machen in … mal sehen … etwa einer Stunde Pause. Falls du Lust hast, kannst du ja zu uns stoßen, und wir gehen alle gemeinsam eine Kleinigkeit essen …«
    Den Rest hörte ich mir gar nicht mehr an. Stattdessen knallte ich den Hörer aufs Telefon. Tränen strömten über mein Gesicht. Kindische Fragen! Wie konnte er es wagen! Für mich waren sie wesentlich.
    Ich packte meine Tasche, schrieb einen kurzen, scharfen Abschiedsbrief, während Tränen meinen Blick vernebelten, Schluchzer meine Kehle zusammenschnürten. Der Brief war mit Schmerz und Leid und Bitterkeit geschrieben. Jedes Wort, jeder Satz sollten zeigen, wie verletzt ich war; jedes Wort, jeder Satz sollten Etienne treffen.
    Ich rief ein Taxi. Der Taxifahrer war sympathisch und wortkarg. Als ich meine Wohnung erreichte, zog mich meine Mitbewohnerin in eine mütterliche Umarmung, küsste meine nassen Wangen, strich mir übers Haar. »Na, na«, flüsterte sie. »Wird sich schon wieder alles einrenken.«
    Nichts würde sich wieder einrenken. Eine ganze Weile lang nicht. Aber ich hatte eine endgültige Entscheidung getroffen: Ich würde nicht nachgeben. Aus und vorbei – Etienne konnte zur Hölle fahren. Ich wusste, ich würde ihn nie wiedersehen, weil ich nicht für die Hölle bestimmt war. Ich verdiente den Himmel.

Letzte Verabredung
     
    Wir trafen uns in unserem japanischen Stammlokal. Nachdem wir Sushi und eine Flasche Rotwein bestellt hatten, hing ein peinliches Schweigen zwischen uns. Ich war hungrig, weil ich in den letzten Tagen nicht viel gegessen hatte, aber mein Magen blieb zugeschnürt. Meine Kehle fühlte sich vom vielen Heulen wund und trocken an. Es gelang mir dennoch, die Misosuppe und den japanischen Salat irgendwie hinunterzuwürgen. Ich schaffte es auch, drei Gläser Wein nacheinander in mich hineinzuschütten. Etienne brachte nicht einmal das runter. Er warf mir die ganze Zeit verletzte Bubenblicke zu, und sein waidwunder Gesichtsausdruck besagte mehr als die spärlichen, höflichen Worte, die er an mich richtete.
    Schließlich räusperte er sich und meinte: »Wann kommst du zurück? Du hast mich genug bestraft, glaubst du nicht auch? Ich meine, das ist doch alles nur ein Missverständnis …«
    »Ein … Missverständnis?«, fauchte ich. Das Wort wirkte wie ein Signal. Seit fast einem Jahr hatte ich einen schweren Rucksack unausgesprochener Vorwürfe auf meinen Schultern getragen. Diese Last musste ich jetzt einfach loswerden. Alles, was Etienne die folgende halbe Stunde lang tun konnte, war sprachlos dasitzen, sich meinen heftigen Frontalangriff anhören und zunehmend verfallen. Ich packte alles aus, von meinen eigenen, unbeantworteten Gefühlen bis hin zu seiner Unfähigkeit, jemanden zu lieben. Ich warf ihm sogar die Art und Weise vor, wie er seinen Ex-Freund behandelt hatte! »Du weißt ja gar nicht, wie man jemanden liebt!« sagte ich nicht wörtlich, lie ß es aber deutlich durchklingen. »Du kannst es nicht, und du wirst es nie lernen! Du bist ein emotionaler Krüppel, und eines Tages wirst du in deiner prächtig möblierten, kalten, gutbürgerlichen Wohnung ganz allein verrecken!«
    Etienne begann laut zu weinen, als ich richtig in Fahrt gekommen war. Die Kellnerin, diskret wie eh und je, wagte kaum, uns anzusehen, als sie unsere Sushis brachte. Meine Sätze kamen aus dem Mund geschossen wie Gewehrkugeln. Manchmal muss man bestimmte Dinge aussprechen, um wirklich zu verstehen, was man fühlt. Man muss seine Emotionen in Worte kleiden, um sie zu begreifen. Das ist ein gesunder Prozess.
    »Du weißt nicht, wie man jemanden liebt. Umso besser, dass es so kommt, denn deinetwegen hab ich schon genug gelitten. Adieu!« Das war es, was ich zwischen den Zeilen sagte.
    Ich würde nicht zu ihm zurückkehren! Während ich Säure und Gift spuckte, erkannte ich endlich das Ufer, an das mich mein Schiff gebracht hatte. Etienne war immer aufrichtig gewesen. Auch und vor allem als er gesagt hatte: »Ich

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