Kleine Portionen
liebe dich … noch nicht.« Dieser Satz war der perfekte Ausdruck seiner Gefühle, oder besser gesagt: seiner mangelnden Gefühle für mich gewesen. Hier versuchte er nur, den Schein zu wahren. Er versuchte nur, etwas zu retten, von dem wir beide wussten, dass es nicht wert war, gerettet zu werden.
Zum Schluss lief er aus dem japanischen Restaurant, lief weg von mir, weg von meinen zielstrebigen Gemeinheiten; er weinte und schluchzte wie ein Verrückter. Inzwischen hatte auch ich angefangen zu weinen. Tränen helfen, den Schmerz wegzuwaschen. Das Salz der Tränen heilt die tiefsten Wunden. Irgendwann.
Etienne ließ mich allein im Restaurant zurück. Er hatte verstanden, dass es wirklich vorbei war. Ein für allemal.
Er hatte kein einziges Sushi angerührt. Er hatte immerhin die Rechnung bezahlt.
In Da Club
Das erste Mal im U4. Ich lehnte gegen eine Wand, mein zweites Glas in der Hand, meine Selbstsicherheit in den Jeanstaschen. Ich fühlte mich wie ein Außenseiter, ein Forscher, der sich für die seltsamen Verhaltensweisen eines neu entdeckten Stammes interessierte. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob ich Mitglied dieses Stammes hier sein wollte oder nicht.
Bisher hatte ich noch niemanden angequatscht. Und niemand hatte mich angequatscht. Niemand sah mich an. Zumindest kam es mir so vor. Okay, ich musste zugeben, in den Augen einiger Typen glomm eindeutiges Interesse auf, das konnte sogar ich erkennen. Aber leider waren das die Typen, die mich nicht interessierten. Keiner von ihnen ließ das ersehnte Prince-Charming-Gefühl in meinem Bauch aufkribbeln.
Fleisch wurde lecker und deutlich zur Schau gestellt, das schon. Da war dieser dunkelhaarige, braungebrannte, muskulöse Kerl, der mit spitzbübischem Grinsen vor mir tanzte; die Bierflasche schwang in einer Hand hin und her. Er hatte sein Hemd ausgezogen, und die Stroboskop-Blitze erleuchteten seine fabelhafte, unbeharrte Brust im Rhythmus der House-Musik. Er gab vor nicht zu bemerken, dass die Hälfte der Männer seinen Genuss versprechenden Körper anstarrte, sich an seinen Schritten und Gesten berauschte. Männer, die sexhungrig vibrierten und ihm Wolfsblicke zuwarfen.
Ich konnte nur hoffen, dass mein Blick meinen eigenen Hunger nicht zu deutlich zeigte. Natürlich verhieß der Kerl vor mir Sex. Ich bezweifelte aber, dass er wusste, wie man Liebe und Treue buchstabierte. Prince Fickmich eher als Prince Charming.
Schließlich hatte ich mein Glas ausgetrunken. Auch ich fing an, mich zur Musik zu bewegen. Bald schon ließ ich mich in den rhythmischen Strom fallen. Mehr und mehr Diskogeher überfluteten die Tanzfläche, überrannten sogar die dunkle Stelle, wo ich zuerst nur geguckt hatte und wo ich seither tanzte. Mir konnte es recht sein, ich berührte versehentlich hier mal eine Schulter, dort ein Gesäß. Manchmal lächelte man zurück, schenkte mir »Wie wär’s?«-Blicke oder ein anerkennendes Kopfnicken. Die Musik wurde ein Teil meiner selbst, meine Bewegungen flossen frei, meine Beine stampften mit dem Bass mit, meine Arme flogen mit den Synthesizern.
Nach einer Weile weckte ein blonder Kerl meine Neugierde. Er stand nicht weit von mir entfernt, diskutierte mit einem Freund, die Arme vor der Brust verschränkt. Er schien wütend oder traurig zu sein; mit den wechselnden, bunten Lichtern und den blendenden Millisekundenblinkern war das schwer zu sagen. Aber er bemerkte, dass ich ihn anstarrte. Seine Haltung, sein Gesichtsausdruck änderten sich kurz, solange man eben braucht, um zu lächeln.
Ich nahm sofort an, dass ich ihm gefiel.
In memoriam
Carla studierte Psychologie. Was mir perfekt vorkam, weil sie diese gesunde Neugier aufbrachte, die auf ihre Liebe für Menschen und ihre Geschichten zurückzuführen war. Sie war unfähig zu lügen, sich zu verstellen, Spielchen zu spielen. Sie war echt, aufrichtig und offen. Für manche sogar zu offen.
Was mir auffiel, als ich Carla zum ersten Mal sah: ihre großen, fragenden Augen. Sie hatte ein rundes Gesicht, langes und seidiges Haar, ein fliehendes Kinn und ein einladendes, großzügiges Lächeln. Carla war keine klassische Schönheit, aber wegen der menschlichen Wärme, Zielstrebigkeit und Energie, die sie ausstrahlte, mochte ich sie sofort.
Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich sie wieder vor mir, wie sie mir gegenüber auf dem Sofa saß und ihren Kopf nach vorn schob, mich mit ihren neugierigen Blicken durchbohrte, um die letzten Tropfen Wahrheit aus mir, meiner Mimik, Gestik, Aura
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