Kleine Portionen
beiden funken.
»Der Nächste, bitte!«
Ich hatte Sex mit einem anderen, knackigen Jungen, den ich den gierigen Klauen eines Freundes entwunden hatte und dessen Körper nach Talk roch, als er endlich nackt und mit einem großen Steifen vor mir saß.
Jedes Mal kamen am Anfang Glaube und Hoffnung auf, jedes Mal führten unsere Geschichten zu Langeweile und Enttäuschung, und ich schrie: »Der Nächste, bitte!«
U4
Am Mittwoch war im riesigen Raum weniger los als an den »Heaven«-Donnerstagen oder H.Y.P.E.-Samstagen. Tanzte jemand neben mir, sah ich ihn kaum. Alles, was ich wahrnahm, waren gespenstische Silhouetten, gräuliche Umrisse, Gespenster, die sich im Takt bewegten. Eisige, weiße Nebel hingen schwer in der Luft, der Ort war nachtschwarz, Stroboskop-Blitze peitschten in Streifen durch die Wolken und pulsierten in ihrem eigenen Takt. Der Rhythmus stampfte, der Bass wummerte, mein Herz raste mit der Musik, meine Arme flogen, meine Füße hämmerten, mein Atem ging schnell und ruckartig. Endlich Freiheit; ich konnte meine Existenz vergessen, konnte eine Geistesverfassung erreichen, die nur noch aus Musik, Rhythmus, Licht und Bewegungen bestand. Ich wurde aus der Wirklichkeit gehoben, verlor die Kontrolle, war glücklich und friedvoll.
Kontrolle. Vor langer Zeit schon hatte ich jegliche Hoffnung aufgegeben, äußere Dinge, Ereignisse, Aktionen und Reaktionen kontrollieren zu können. Aber was mein Leben und meine Gefühle betraf, war Kontrolle zu meiner zweiten Natur geworden.
Ich tanzte ein paar Stunden lang, bis ich eine Pause brauchte. Ich näherte mich der Treppe, wo eine herrlich kühle Brise herunterwehte. Schweißgebadet und keuchend fummelte ich in meiner Hosentasche nach den Zigaretten. Ein schlanker, hübscher Kerl mit einer Bierflasche in der Hand lehnte gegen das Geländer und blickte sanft und verträumt ins Leere. Er trug Jeans und ein blaues Hemd, hatte halblanges, seidiges Haare und volle, melancholische Lippen. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Aber warum oder woher ich ihn kannte war mir, um ehrlich zu sein, recht egal. Zufrieden schloss ich meine Augen, zog den Zigarettenrauch ein.
Dann fühlte ich ein leichtes Kribbeln auf der Haut – ich spürte, dass mich jemand anstarrte. Als ich meine Augen öffnete, bemerkte ich, dass der hübsche Kerl tatsächlich dabei war, mich in aller Ruhe zu mustern. Seine Augen waren direkt auf mich gerichtet, und als er schnallte, dass ich ihn auf frischer Tat ertappt hatte, errötete er sofort – nein, wie herzig!
Ich ging zu ihm rüber und schrie ihm ins Ohr: »Noch ein Bier?«
Der junge Mann lächelte schüchtern, was für jemanden, der so ruhig und gelassen aussah, seltsam schien. »Ja, gerne«, sagte er.
Sein Name war Ralph. Mit seinem abgehobenen, sorglosen Lächeln, seinen verträumten Augen, seiner ruhigen Haltung, seinen gelassenen Manieren wirkte er wie ein Heiliger. Er war auch ein bisschen unbeholfen, was ihn umso liebenswerter machte. Er redete sanft.
Am nächsten Abend lud er mich zu sich ein. Seine Wohnung war geräumig und luftig. Ralph öffnete eine Flasche Weißwein. Wir setzten uns auf sein bequemes Sofa, plauderten, tranken unseren Wein, sahen einander mit vorsichtigen, schüchternen Blicken an. Eine Million kleiner Ameisen krochen in meinem Magen herum.
Wir hatten an jenem Abend keinen Sex. Wir küssten uns nur. Unser Kuss war von Leidenschaft und Sehnsucht und unerfüllter Liebe durchdrungen. Ich spürte Ralphs Lippen unter meiner Berührung erzittern. Unser zarter Kuss dauerte lange.
Ich erinnere mich an kein einziges, nennenswertes Detail der folgenden neun Wochen. Ich erinnere mich nur, dass ich mich sehr schnell langweilte. Unsere gemeinsam verbrachten Augenblicke langweilten mich, seine Schönheit langweilte mich, seine Ungeschicktheit im Bett langweilte mich, Ralph langweilte mich. Ich bemerkte, dass ich seine Art, Geschichten zu erzählen, nicht mochte, dass ich die Art und Weise, wie er sich bewegte, nicht mochte, dass ich nicht mochte, wie er tanzte.
Ich vermute, genau deswegen hat er mich dann auch betrogen. Und das Schlimmste: mir war das egal. Ich hatte mich entliebt.
Vorfall
Als wir die U-Bahn verließen und uns auf den Weg zur Jugendherberge in der Nähe des British Museum machten, stießen Franck und ich auf eine Straße, welche die Polizei abgeriegelt hatte. Ein gelb-weiß gestreiftes Sicherheitsband wehte im Wind. Das Viertel wimmelte vor Bobbies. Die meisten Fußgänger ignorierten das einfach,
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