Kleine Portionen
Pinsel traditionelle Hochzeitsmuster auf die Handrücken meiner Schwester. Als die Frau wieder ging, brach meine Schwester zusammen, sie weinte und kratzte an ihren Händen und jammerte, dass das Muster weh tat, so weh tat, es juckte, es biss. Ich nahm sie in meine Arme und machte Sch!, Sch!, Sch! und sang alles wird gut und summte du brauchst dich vor nichts fürchten …
Bitter-süß, wie ich am Flughafen stand und zum Abschied winkte, während das Flugzeug schnell in den Abendhimmel verschwand. Ich stand da, traurig und leer, weil ich nicht fähig gewesen war, ihre Sorgen zu verscheuchen. Und die ganze Zeit, die ganze lange Zeit über dieses nagende Gefühl, dass ich nicht genug zugehört hatte, dass ich ihr nicht genug von meinem Raum, genug von meiner Zeit, genug von meiner Liebe gegeben hatte.
Camping in der Normandie
Ich stehe am offenen Fenster im Bad und rauche. Es ist Samstagabend, mein Huhn in Eierschwammerlsoße köchelt in der Küchenecke, Seb liest »Le Figaro«. Die Geräuschkulisse kommt von einem TV-Quiz mit diesem alternden TV-Moderatoren, dessen Lächeln so falsch aussieht wie eine Gucci-Tasche aus Ventimiglia. Vor meinen Augen liegt der kleine Innenhof, die einfache Wand, der immer düsterer werdende Spätabendhimmel über Paris, die schmutzig-braunen Fassaden der Gebäude, die Backsteinwand der angrenzenden Kapelle. Die Stadt schließt mich ein, das unaufhörliche Verkehrsrauschen der Rue de la Chapelle, die heulende Sirene eines Krankenwagens, das Hupen ungeduldiger Fahrer; es riecht nach Eierschwammerln und Zigarettenrauch und Autoabgasen und städtischen Herbstdüften. Die Luft bekommt schön langsam diese kühle, winterliche Stimmung.
Aus dem Nichts steigt die Erinnerung an den Camping-Ausflug in die Normandie auf, den wir vor ein paar Jahren gemeinsam machten, Grégoire, Vanessa und ich. In Houlgate, fanden wir einen günstigen Campingplatz. Kichernd wie Schulkinder bauten wir unsere Zelte auf. Dann fuhren wir zum Mittagessen an den Strand. Es war ein herrlich sonniger Tag mit einem blauen Himmel, kleinen flauschigen Wolken, Möwen surften im Wind, der Sand schimmerte im hellen Licht. Das Meer weitete sich schwappend bis zum Horizont. Grégoire, nachdem er die Wellen beobachtet hatte, erklärte: »Ebbe.« Wir breiteten eine Decke auf dem Sand aus und öffneten unseren Picknickkorb. Wir hatten Schinken und Pasteten und Brie und gekochte Eier und Backhuhn und hausgemachte Mayonnaise und ein frisches, knuspriges Baguette und eine Flasche Bordeaux mitgebracht. Fünfzehn Minuten später, dank Grégoires geschultem Auge für Gezeiten, mussten wir alles wieder einsammeln, weil die ersten Wellen zu unserer Decke herleckten. Wir setzten uns auf eine Steinmauer.
Die ganze Zeit über tummelten sich die beiden Hunde am Strand, liefen im Meer Fischen und kleinen Vögeln nach, versuchten, die Wellen zu fangen, wälzten sich im Sand, kamen immer wieder um ein Stück Schinken betteln, schüttelten sich und bespritzten unsere Mahlzeit, die Decke und uns drei mit Tropfen und Sandkörnern. Meine Seele und mein Geist fühlten sich frei und frisch wie die salzige Seeluft, und sie liefen und tollten und sprangen herum wie unsere Hunde.
Am Abend fielen die Temperaturen, und wir saßen zitternd in einem unserer kleinen Zelte, und die Hunde lagen erschöpft zu unseren Füßen und verbreiteten einen starken Geruch nach Fisch und faulenden Algen, und es war Mitternacht, als Vanessa sich in ihr eigenes Zelt zurückzog. Wir flüsterten noch eine Weile hin und her und kicherten, als in der Ferne ein Esel heiser zu schreien begann.
Am nächsten Tag besuchten wir die malerischen Städte Deauville, Trouville, Honfleur.
Am dritten Tag regnete es. Der Ausblick auf einen längeren Aufenthalt in einem winzigen Zelt bei Nieselregen, in dieser verschleierten, plötzlich traurig aussehenden Region, dieser Ausblick deprimierte uns ein wenig, also reisten wir ab. In einem kleinen Bistro der Stadt Pont-l’Evêque tranken wir Kaffee. Ich erinnere mich an die traumhaften, grünen und sanften Hügel, den schmalen Bach, die alte, gewölbte Steinbrücke, den Regenvorhang, der über der Szene hing.
Hund
Ich habe sie aus dem dümmsten Grund gekauft, den man sich vorstellen kann. Eifersucht. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Tier besessen. Dann traf ich Grégoires kostbare, kleine, schwarze Pudelhündin Lara und verliebte mich auf Anhieb. Sie war umgänglich und charmant und ganz auf ihr Herrchen fixiert. Ich
Weitere Kostenlose Bücher