Kleine Portionen
Zu viert nahmen wir auf Kissen Platz und genossen einen reichhaltigen, wunderbar würzigen tunesischen Couscous. Was mein Freund und ich am meisten genossen: die Ruhe, die uns im kühlen Raum umgab. Wir konzentrierten uns aufs Essen, plauderten müßig über dies und das.
Schließlich kehrten wir zum Festgetümmel zurück. Die Familie war in einen großen Festsaal einmarschiert. Teppiche hingen an den Wänden, ein Orchester spielte lautstark auf. Die Frauen saßen auf der einen Seite, tratschten laut miteinander, versteckten ihre lachenden Münder hinter Schleiern. Die Männer standen auf der anderen Seite des Saales und diskutierten. In der Mitte tanzte die Jugend zur schnellen, verzaubernden Musik, sie warfen ihre Arme hoch, ihre Hände zeichneten feine Kreise in die Luft, ihre Hüften wiegten sich lasziv, ihre Füße stampften. Der Saal roch nach Gewürzen und Weihrauch und Moschus und Schweiß und Henna und Zigarettenrauch und sandiger Hitze und dem strahlenden Glück des Gatten und der halb betäubten, resignierten Trauer der jungen Frau um ihr eigenes Los.
Midoun
Bitter und süß und süß und bitter … Wie der Salat, den ich gestern zubereitet habe, Schalotten, Tomaten, Gurken, Paprika, ein süßer Apfel und zwei bittere Chicoreen. Olivenöl, italienischer Balsamico-Essig. Bitter-süß, wie diese Ferien auf der milden Insel Djerba. Wir mieteten eine Villa in diesem Weiler in der Nähe des Dorfes Midoun. Zwei Wochen lang nannten wir einen kreideweißen Bungalow unser. Wir hatten einen kleinen, halb verdorrten Garten. Einen kleinen, schattigen Hinterhof. Von unserem Weiler zum Strand brauchten wir zu Fuß eine halbe Stunde. Etwa fünfzehn Minuten vom Weiler zum Dorfzentrum.
Midoun, ein Dorf wie eine Zeichnung in einem Buch für Träumer. Niedrige Häuser, weiß und blau. Laubengänge, staubige Gehsteige, müßiges Leben. Alte Männer in sandfarbigen Djellabas saßen auf der Terrasse eines Cafés, tratschten und tranken Kaffee oder Pfefferminztee oder Boga. Der kleine belebte Markt, wo wir normalerweise frischen Fisch zum Grillen kauften. Tomaten, Paprika, Gurken und Zwiebel, Knoblauch, Petersilie: das alles schnitten wir für den tunesischen Salat klein. Dünne Warka-Teigblätter für Bricks à l’œuf, diese dreieckigen, frittierten Taschen, mit Erdäpfelpüree, einem Ei und gehackten Zwiebeln, Thunfisch, Harissa und Petersilie drin.
Meine Schwester blieb eine Woche bei uns. Wir schlenderten gemeinsam die Hauptstraße zum Strand hinunter, unter sengender Sonne und blauem Himmel. Die trockene, rote Ebene breitete sich auf beiden Seiten aus. Kleine Rosen badeten in Wasserlachen. Gebäude funkelten in der Nähe der Straße auf. Wir schwammen im lauwarmen Meer, wir saßen am sandigen Ufer, wir spazierten kurzärmelig und erhitzt durch verschlafene Straßen und pfiffen vor uns hin.
Wir nahmen ein Schiff und fuhren zu einem schmalen Sandstreifen, der sich ins azurblaue Mittelmeer streckte. Flamingos sahen uns nach.
Wir aßen bei Kerzenschein im Garten zu Abend. Wir wuschen unsere Kleidung im warmen Wasser, das stotternd aus dem Gartenschlauch spritzte. Wir belauschten die Gespräche unserer Nachbarinnen, all die tausend Nichtigkeiten, die eine Österreicherin mittleren Alters und ihre 20-jährige Tochter einander zu erzählen hatten. Zwangsgedrungen hörten wir auch die Musik, mit der die Tochter am Nachmittag den Weiler beschallte. Hauptsächlich Dead Can Dance und ihr »Spiritchaser«-Album.
Nach der Dusche saßen wir nackt auf dem Bett meiner Schwester und redeten und redeten und redeten. Über Leben und Liebe, über Hoffnung und Ernüchterung.
Meine bitter-süße Schwester. Sie hatte abgenommen, aufgefressen von unglücklicher, unerfüllter Liebe. Ihr Geliebter in Wien war ein verheirateter Mann. Ihr Verstand sagte ihr, sie solle sich von ihm trennen, während ihr Herz sie anflehte, abzuwarten und zu hoffen und sich nach mehr, immer mehr zu sehnen. Ihr Kopf sagte, es sei nutzlos. Ihre Gefühle hielten sie gefangen, ein flammendes Gefängnis namens Sehnsucht.
Eines Tages stieg ein heißer Wind auf und blies über die Insel. Der Wind kam aus der Sahara gestürmt und fegte Sandwolken durch die leeren Straßen und blies sie durch die Häuser und ließ sie in den Palmblättern flüstern. Wir lagen halb tot und schwitzend auf unseren Betten, jeder bewegungslos in seiner eigenen Pfütze, und beteten darum, dass der Wind aufhörte.
Am letzten Abend kam eine Frau und malte mit Henna und einem kleinen
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