Kleine Portionen
Speisekarte einmal rauf und runter bestellte; wir wurden nicht nach unseren Wünschen gefragt. Er wollte, dass wir so viele typisch griechische Speisen wie möglich kosteten. Wir bekamen Tintenfischsalat und dolmadakia (gefüllte Weinblätter) und Muscheln in Tomatensauce und mit Feta-Käse gratiniert und saganaki (gegrillten Käse) und eine riesige Schüssel griechischen Salat und Atherina (frittierte kleine, silbrige Fische) und Fleisch vom Grill mit Reis und Kartoffeln.
Als Hintergrundmusik gab es griechische Popmusik, Notis Sfakianakis und Despina Vandi und Peggy Zina und Anna Vissi. Ihre Lieder verwischten sich und verschmolzen mit dem exotischen Getöse aus Zikaden und Wellen, mit dem ohrenbetäubenden griechischen Singsang der Leute, die rund um uns diskutierten und lachten und schrien. Der starke Geruch sonnengebleichter, getrockneter Piniennadeln schwebte in der Luft, und immer wieder strich ich mit den Fingerspitzen über die raue, moosige Oberfläche eines immer noch warmen Steins.
Monastiraki
Ein kleines Juweliergeschäft in einer engen Seitenstraße in Monastiraki. Das Viertel sieht schäbig und ein bisschen verlassen aus. Die Sonne flackert hoch im Himmel, die warme Luft durchdringt alles, wabert durch die Straßenschluchten und Gassentäler. Im smogverschwommenen Hintergrund weiße Felsen, weiße Säulen, weiße Tempel: die Majestät der Akropolis. Die Helligkeit des Tages tut dem Auge weh und verwandelt alle Farben in Weißtöne, selbst die Schattenflecken schimmern hellgrau. Die Leute bewegen sich mit den vorsichtigen, langsamen und schleppenden Schritten, die das heiße Sommerklima gebietet, durch die Straßen. Die Touristen sind leicht zu erkennen, weil sie einzigen sind, die schnell und entschlossen herumlaufen vor lauter Eifer, diesen Ort noch zu besuchen, jene Sehenswürdigkeit noch zu beäugen; ich kann hören, wie sie in ihren Köpfen die verschiedenen Punkte ihres Sightseeing-Programms abhaken.
Die Gebäude in diesem Viertel sind niedrig und alt und staubig. Die meisten Rollläden bleiben geschlossen, weil es Sonntag ist. Nur ein paar Geschäfte haben geöffnet, wie dieses Schmuckgeschäft, das wir aufsuchen wollen. Zwei blonde, hübsche, amerikanische Mädchen stehen vor dem Stand mit den zierlichen Silberringen. Sie tragen ihre Herkunft so sichtbar an sich wie Neonreklamen. Ihre Haltung ist fröhlich-auffällig-gesprächig. Ihre Stimmen hallen laut durch die gedämpfte, brütende, müßige Atmosphäre der Straße.
»Wir kommen aus Nebraska«, sagt eine von ihnen zum jungen, schwarzhaarigen Verkäufer. Sie blitzt ihn mit einem Zahnpastalächeln an. Ihr Mund ist groß, ihre großen weißen Zähne leuchten. »Jessas, Barbra«, schreit sie und stößt ihre Freundin an. »Schau dir den an! Ist der nicht einfach urprächtig?« Sie zeigt auf einen Ring.
»Ja«, ihre Freundin Barbra nickt heftig. »Genial!« Sie wirft einen Blick aus großen, begeisterten Augen auf den Verkäufer. Er steht nur da, sein hübsches Gesicht bleibt ausdruckslos, er kreuzt seine gebräunten, muskulösen Arme vor der Brust. Er beobachtet die beiden Mädchen, als ob sie Außerirdische wären, die eine ferne Dimension gerade ausgespuckt hat. Er spricht kein Wort, schaut sie von oben bis unten an, hört ihrem Geschwätz mit stiller Verachtung zu.
Die Mädchen befingern mehrere Ringe, versuchen, sich für den jungen Verkäufer interessant und attraktiv zu machen. Aber er steht weiter da, ohne ein Lächeln, zeigt keine Reaktion, stumm und schön wie eine Marmorstatue. Eine Welle warm-naiver Gutmütigkeit scheint von den Mädchen auszugehen, sie wird von der kalten, uninteressierten Haltung des jungen Mannes abgeblockt. Schließlich eilen die Mädchen etwas enttäuscht davon, ohne etwas zu kaufen. »Meine Güte, ich verstehe nicht, warum die so unhöflich sein müssen«, höre ich sie murmeln.
Als wir drei uns nähern, blickt der junge Mann uns ebenso kühl entgegen, wie er die Mädchen behandelt hat. Er setzt ein Glas Frappé an den Mund und nimmt einen Schluck. Ich sehe, wie sich sein Adamsapfel auf und ab bewegt, während er schluckt. »Yassas«, sage ich und wische mir über die Stirn, wo ein paar Schweißtropfen glänzen. »Kani zesti zimera, eh?« Mein Standardsatz, der bedeutet: »Hallo, heiß ist es heute, nicht wahr?« Im Sommer kann man mit diesem blöden Satz nie falsch liegen. Natürlich ist es heiß, wie könnte es auch anders sein, Mitte Juli in Athen?
Die Haltung des jungen Mannes ändert sich jedoch
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