Kleine Schiffe
immer wieder in Gedankenlabyrinthe. Bis jetzt ist alles, was das Jahr anbietet – Weihnachten, Geburtstage, Ostern – immer noch ein erstes Mal ohne Lilli . Doch auf dem Friedhof, inmitten der Gräber, kann ich mich mit Lillis Tod abfinden. Der Friedhof lädt zum Spazieren ein – manchmal gehe ich eine Stunde lang dort umher. Wenn ich dann nach Hause fahre, fühle ich mich wieder getröstet.
»Auch die Kinder scheinen die besondere Atmosphäre zu spüren«, erzähle ich Andreas, als ich von einem meiner Friedhofsausflüge zurückkomme.
»Kleine Kinder haben doch eigentlich nichts zwischen Gräbern zu suchen«, klingt seine Stimme aus dem Hörer.
»Für sie ist es wie ein Park.«
»Aber ein ziemlich düsterer Park«, widerspricht Andreas. »Ich finde sowieso, dass ihr einen Tapetenwechsel braucht. Warum kommt ihr nicht mal zu mir nach Dänemark?«
»Für später im Sommer ist das eine schöne Idee. Jetzt ist es noch ziemlich kühl. Da müsste ich die dicken Sachen mitnehmen. Das ist ein ziemlicher Aufwand für ein paar Tage.«
»Ich rede nicht vom Verreisen.« Er macht eine Pause. Dann sagt er: »Franziska, hast du schon einmal darüber nachgedacht, mit den Kindern für immer nach Dänemark zu kommen?«
»Was?« Ich traue meinen Ohren nicht. »Nach Aabenraa? Was sollen wir denn da?«
Andreas’ Stimme klingt etwas verletzt. »Warum bist du darüber so überrascht?«
»Na, weil …« Mir fehlen die Worte. Ich bin verwirrt, überrascht, auf irgendeine Art geschmeichelt, aber auch erschrocken. Will Andreas mich wieder zurückhaben? Oder will er seine Tochter? Und: Will ich ihn überhaupt wieder? Ich horche in mich hinein. Nein, ich spüre einen Widerwillen, der stärker ist als die Freude über eine mögliche Rückkehr zu Andreas. Ich will nicht fort aus dem Haus in der Wiesenstraße. Aus meinem Zuhause.
Das sage ich Andreas. »Ich will hier bleiben.«
Andreas ist es noch immer nicht gewohnt, dass ich widerspreche. Er ist auch nicht gewohnt, dass ich eigene Pläne habe. »Aber was hält dich denn in Hamburg? Durch Lillis Tod ist eure WG-Idee hinfällig, und dein Vater kommt allein zurecht. Arbeiten könntest du hier auch. Ich habe mich bei einem Kollegen erkundigt, der braucht eine Sprechstundenhilfe. Auch für Lisa-Marie ist hier genug Platz. Also, was hält dich? Jetzt, wo auch dein Simon das Weite gesucht hat.«
Letzteres ist ziemlich unverschämt. »Wie bitte?«
Andreas rudert sofort zurück und entschuldigt sich. »Verzeih, das mit Simon war unfair. Ich kann es nur immer noch nicht fassen, dass ausgerechnet du dich mit einem so viel jüngeren Mann …« Er wirkt verlegen.
Ich muss fast lachen. »Eingelassen hast? Mensch, Andreas, sei doch nicht so spießig. Du warst doch auch älter als deine Mette.«
»Hat ja auch nicht gehalten.«
Jetzt bin ich noch einmal überrascht. Wie gleichgültig Andreas das sagt! Als ob er mir zu verstehen geben will, dass Mette nie wirklich wichtig war in seinem Leben. Auf eine verrückte Weise freut mich das. Doch weil ich ihm das nicht zu sehr zeigen möchte – vielleicht täusche ich mich ja auch –, hake ich noch einmal nach.
»Hat sie sich von dir getrennt, weil du zu alt bist?«
Diese Entwicklung des Gesprächs ist ihm spürbar unangenehm. Schnell lenkt er ab: »Natürlich nicht, das weißt du doch! Es ist nur so: Eine Affäre mit einem so viel jüngeren Mann hätte ich einfach bei dir nicht erwartet.«
»Du hältst mich also für unattraktiv?« Langsam macht mir die Unterhaltung Spaß.
Andreas zappelt wie ein Fisch an der Angel. »Nein, so ein Unsinn! Natürlich bist du attraktiv – das hat doch mit dem Alter nichts zu tun … Ach, ich weiß auch nicht. Aber lass uns nicht abschweifen. Nenn mir einfach einen guten Grund, warum du deine Zelte in Hamburg nicht abbrechen kannst! Hier ist alles vorbereitet: Mein Job läuft, ich verdiene gut, die Wohnung ist groß, Aabenraa ist kinderfreundlich. Du hättest Arbeit und musst nicht einmal viel Dänisch lernen – die sprechen hier alle gut deutsch. Es gibt sogar eine deutsche Schule. Also, Franzi, warum willst du nicht zu mir kommen?«
Eigentlich müsste ich jetzt die Fragen aller Fragen stellen: Was ist mit uns? Wo bleibt in deinen Überlegungen die Liebe?
Während ich noch darüber nachdenke, wiederholt Andreas seine Frage: »Was hält dich? So großartig ist dein Leben allein mit den Kleinen doch sicher nicht.«
Wut wallt in mir hoch. Gefühle hin oder her – eines weiß ich mit Sicherheit: Ich will mich
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