Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
Vom Netzwerk:
nie wieder von Andreas organisieren lassen. Aber wie sage ich das, ohne ihn zu verletzen? In meiner Hilflosigkeit fällt mir nur etwas ein, das Andreas als lächerlich abtun wird. Ich quetsche heraus: »Mein Indiaca-Kurs hat gerade erst angefangen.«
    Andreas grunzt verständnislos: »Indi … was?«
    »Indiaca. Das ist eine Art Federball, nur ohne Schläger«, erkläre ich.
    »Und was hat das damit zu tun, ob du nach Aabenraa kommst oder nicht?«
    »Weil ich den Kurs gerade erst angefangen habe und mir das großen Spaß macht.« Das ist nicht gelogen. Kurz nachdem Lilli gestorben war, hatte ich in meinem Briefkasten eine Karte mit folgendem Text gefunden: »Nicht vergessen! Ihr Indiaca-Kurs beginnt nächsten Donnerstag!« Die Karte war an Lilli und mich adressiert. Nach kurzem Überlegen fiel es mir wieder ein: Dieses merkwürdige Indiaca war die Sportart, auf die wir beide uns geeinigt hatten. Es war nicht einfach gewesen, einen Sport zu finden, der einer Neunzehnjährigen und einer Fünfundvierzigjährigen gleichermaßen Spaß macht. Einen Moment lang hatte ich damals geschwankt, ob ich auch ohne Lilli den Kurs absolvieren sollte – und mich dagegen entschieden. In der kleinen Sportschule am Schäferkamp hatte man Verständnis für meine Situation, nahm mich aber in den E-Mail-Verteiler und informierte mich weiter über neue Kurse.
    »Ich habe mich gerade zum Sommerkurs angemeldet!«, erkläre ich Andreas und lenke das Gespräch in unverfänglichere Bahnen. Glücklicherweise lässt er sich mit Geschichten über unser Wunderkind oder über Mis und Bims Abenteuer immer schnell auf neue Themen bringen. Von Mette erzählt er nichts mehr. Und ich frage auch nicht.

    An einem Donnerstag im Juni stehe ich zum ersten Mal in der Halle auf dem Spielfeld. Gemeinsam mit sieben anderen Männern und Frauen zwischen Mitte zwanzig und Mitte fünfzig renne ich dem kleinen gefiederten Ball hinterher und fühle mich hinterher so glücklich wie schon lange nicht mehr. Man bildet Mannschaften zu drei, vier oder fünf Spielern – je nachdem, wie viele Teilnehmer anwesend sind. Ich muss mich erst daran gewöhnen, den Ball mit der Hand zu spielen, doch Trainer Fabian, ein schlanker, dunkelhaariger Mann in meinem Alter, attestiert mir »ein prima Ballgefühl«. Das hatte ich zuletzt in der elften Klasse gehört, als ich die Volleyball-Schulmannschaft zum Sieg schmetterte.
    »Prima Ballgefühl!« Danach trage ich meinen Kopf ein Stück höher. Wieso habe ich Jahre meines Lebens an Makramee und Lochstickerei verschwendet, statt mit anderen Indiaca zu spielen? Denn die anderen sind der zweite Grund, warum mir der Kurs so viel Spaß macht. Genauso schnell wie der gefiederte Ball fliegen lustige Kommentare durch die Halle, wird gefrotzelt und viel gelacht.
    Als ich in einer Spielpause meine Mitspieler näher ansehen kann, erlebe ich eine große Überraschung. Denn wer steht mir am Netz gegenüber? Der Hüne von Richter, der Andreas und mich geschieden hat. Damals noch an Krücken. Verletzt hatte er sich genau in der Halle, in der wir jetzt spielen. Umgeknickt und den Mittelfußknochen gebrochen. Auch er erinnerte sich sofort an mich. Er heißt Dieter – beim Sport duzen sich alle.
    Nach zwei Ballwechseln fragt er grinsend: »Hältst du immer noch Händchen mit deinem Ex?« Dann sagte er, er habe noch nie ein Paar geschieden, das Hand in Hand zum Termin erschienen war.

    Der Sommer hält Einzug in Hamburg. Der erste Sommer ohne Lilli, ein Sommer ohne Simon und der zweite Sommer mit Amélie und Lisa-Marie, die mittlerweile durch die Gegend sausen und ihr Vokabular stetig erweitern. Vom Klassiker »Wauwau« (alles, was kein Mensch ist und irgendwie tierhaft aussieht, also auch Katzen, Papageien, Hasen und Meerschweinchen im Schaufenster der Tierhandlung), »Lala« (Fernseher, Radio, iPod) und »Nam-Nam« (Essen, Trinken, Eis). Ich bin viel in unserem kleinen Garten, und Tina genießt es auch, nach der Arbeit vorbeizukommen. Wir werden, wenn es richtig heiß wird, ein Planschbecken auf dem Rasen aufstellen und freuen uns schon aufs Grillen. Den Gedanken an Pröllke verdränge ich erfolgreich.
    »Willst du nicht wieder einmal zu Besuch kommen?«, lade ich Andreas am Telefon ein.
    »Komm du doch erst mal nach Aabenraa!«, erwidert er. »Oder bereitest du dich jetzt schon auf die Teilnahme an der Indiaca-WM vor?«
    Das Indiaca-Spielen versteht er einfach nicht, denke ich. Ich habe ihm von Dieter, dem Indiaca und meinem alten Traum vom Volleyball

Weitere Kostenlose Bücher