Kleine Schiffe
richtigen Alter mit den richtigen Klamotten und den richtigen Männern auf ihrer kleinen Insel der dinkelgefüllten Yoga-Kissen unter sich bleiben.
Das Wesen hockt sich neben mich auf den Boden, schnallt eine Isomatte ab, die am Boden der Kuriertasche befestigt war, rollt sie aus und legt sich hin. Es wendet mir den Kopf zu. Seine Augen sind von einem durchdringenden Blau. Wie emailliert. Mit dem Mädchen ist eine Duftwolke süßlichen Teenagerparfüms in den Raum geschwappt, die bei einer der Schwangeren fast zur Schnappatmung führt.
»Können wir das Fenster öffnen?«, fragt sie und vermeidet jeden Blick in unsere Richtung.
Amrita nickt mit unbewegtem Gesicht. Sie geht zum Fenster. Während sie die Flügel weit aufmacht und die warme Sommerluft in den Raum dringt, sagt sie: »Wir spüren unseren Atem, wir schließen die Augen …«
Ich habe immer noch den Apfel in der Hand und bin schockiert über die Unverfrorenheit der anderen, die jetzt trotz Amritas Anweisungen leise miteinander tuscheln.
Die junge Frau neben mir bekommt das auch mit. Sie weist nachlässig mit dem Kopf auf die Frauen: »Det kenn ick schon, wa.« Sie streckt sich ächzend auf dem Rücken aus, streichelt ihren Bauch und atmet tief ein und aus. Ihre Fingernägel sind hellblau lackiert. Ich lege den Apfel zwischen uns und mache es ihr nach.
Bald dreht sie sich wieder mir zu. »Ich heiße Lilli. Und du?«
»Franziska.«
»Franziska? Cool. Ich kannte mal ein Meerschweinchen, das Franziska hieß.«
Amrita verteilt Kissen. »Legt euch jetzt in die Seitenlage, mit einem Kissen unter dem Kopf und einem zwischen den Beinen. Spürt ihr den Boden unter euch? Versucht, euer Körpergewicht loszulassen. Nehmt wahr, wie der Atem durch die Nase ein-und ausströmt. Gebt dem Ausatmen mehr und mehr Zeit, bis das nächste Einatmen von allein kommt. Spürt euer Becken, den Bauch und den Brustkorb. Alles wird weit beim Atmen …«
Die konzentrierte Stille wird unerwartet durch ein lautes Schnarchen unterbrochen: Neben mir liegt Lilli mit leicht geöffnetem Mund auf ihrer Matte – sie schläft tief und fest.
Als die anderen gegangen sind, sitze ich noch mit Amrita zusammen. Ab und an blicken wir zur schlafenden Lilli hinüber.
»Kim hat sie bei einem Fest im Hafen kennengelernt«, erzählt Amrita. »Lilli hat bei einem Szenefriseur gejobbt, und Kim war von ihrem Stil, Haare zu schneiden, begeistert. Die beiden haben einen Deal gemacht: Lilli schneidet Kim und Nina umsonst die Haare, dafür finanzieren sie ihr hier den Kurs.« Sie lächelt.
Die ersten Teilnehmerinnen des nächsten Kurses tauchen auf. Wir wecken Lilli, die wie ein Kind ohne Übergang aufwacht. Sie klappt ihre blauen Augen auf und ist da.
»Oh, hallo. Bin ich weggedöst?« Sie rappelt sich auf.
Ich halte ihr den Apfel hin. »Hier, das ist deiner.«
Lilli sieht mich gekränkt an. »Hab ich doch gesagt, dass du den behalten kannst.«
Also stecke ich den Apfel ein. Irgendetwas fesselt mich an diesem dünnen, blassen Mädchen, das ein bisschen wie die Rockmusikerinnen-Variante der Prinzessin aus einem tschechischen Märchenfilm wirkt. Und dann höre mir selbst überrascht zu, als ich sie frage: »Wollen wir noch irgendwo einen Tee zusammen trinken?«
Lilli lächelt und sieht dadurch noch jünger aus. »Cool. Kann ich auch Kakao haben?«
Wir schlendern mit ihren Plastiktüten ins Café Christiansen, wo Lilli zwei Stücke gedeckten Apfelkuchen zum Kakao mit Sahne bestellt. Allerdings nicht, ohne vorher zutraulich zu fragen: »Du zahlst doch, oder?«
Ich entscheide mich für einen Käsekuchen und Rooibos-Tee. Als unsere Bestellung kommt, verteilt Lilli ihre Energie gerecht zwischen Kuchen futtern und erzählen: Sie ist neunzehn Jahre alt und eine waschechte Berlinerin. Während sie mit der Gabel ein Stück Apfelkuchen aufspießt, betont sie: »Meine Eltern sind aus Friedrichshain – bevor das so’n Schickimicki-Viertel wurde.« Ich habe keine Ahnung von Berliner Stadtbezirken, also nicke ich nur bestätigend.
Lilli hat nach der mittleren Reife Friseurin gelernt, die Ausbildung aber abgebrochen. »Das war nichts für mich. Mensch, ich bin doch kreativ! Und dann immer nur doofe Dauerwellen.«
»Was hat dich denn nach Hamburg verschlagen?«, unterbreche ich ihren Redefluss.
Lilli schluckt ein Stück Apfelkuchen hinunter. »Schicksal! Ich bin jetzt ein Jahr hier. Echt schöne Stadt, aber, Mannomann, echt gewöhnungsbedürftig!«
Sie erklärt mir, wie sie mit ihrem Auftreten anfangs
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