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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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und hebt das Bein quer über den Tisch, ohne sich an den überraschten Blicken der anderen Gäste zu stören. »Tata!« Sie zeigt mir eine kleine Tätowierung: eine kaum sichtbare, winzige Rose. »Die habe ich mir stechen lassen, als ich wusste, dass ich schwanger bin. Für mein Kind.« Sie streichelt begeistert über ihren Knöchel, der fast an meinen Kuchenteller stößt. »Schön, nicht?«
    Sie klingt so glücklich, dass ich unwillkürlich nicke. Dabei habe ich mit Tätowierungen nicht besonders viel am Hut. Und eigentlich finde ich, dass sie den Fuß vom Tisch nehmen könnte. Immerhin trägt sie noch ihren Turnschuh. Es ist etwas Besonderes an diesem Mädchen, das mich an eine aufmüpfige Fee erinnert, die aus dem Märchenland verbannt worden ist. Deswegen antworte ich freundlich: »Wirklich, sehr schön.« Und dann schiebe ich sanft ihren Fuß von meinem Kuchenteller.
    »Sorry!« Lilli verzieht ihr Gesicht und verstaut den Fuß wieder ordnungsgemäß unter dem Tisch. Erneut strahlt sie mich himmelblau an. »Ich bin manchmal ein Trampel, ich weiß.« Sie stützt beide Ellbogen auf, legt ihr Kinn in die Hände und fragt: »Und was ist mit dir? Hast du einen Mann, noch andere Kinder, Familie?«
    Ich erzähle in kurzen Worten von meiner Scheidung, meiner neuen Wohnung, und dass Andreas der Vater des Kindes ist. Lillis Augen weiten sich auf Untertassengröße. »Voll krass! Aber irgendwie auch cool. Meinst du, der kümmert sich mal um das Kind?«
    »Wenn er davon erfährt, vielleicht. Aber ich weiß noch gar nicht, ob ich das will.«
    Das findet Lilli noch krasser, und gleichzeitig gefallen ihr die Parallelen zwischen ihr und mir. »Ich habe keinen Vater, du keine Mutter mehr. Die Väter unserer Kinder – na ja, da gibt’s wohl auch Ähnlichkeiten! Meine Ma hat mal so einen Astrologiekurs gemacht. Wir beide sind bestimmt seelenverwandt, oder wir kennen uns aus einem früheren Leben. Wir sind uns doch total ähnlich!« Ihr Haarwust wippt begeistert. Wie wir so dasitzen – sie mit ihrem quietschbunten, schrägen Outfit und ich in der Hamburger Bürgerlichkeitskostümierung mit Jeans, weißem T-Shirt und schwarzem Jackett – würde wohl kein Mensch auf der großen weiten Welt darauf kommen, in uns Seelen-oder sonst welche Verwandte zu sehen. Außer eben Lilli. Sie sieht mich so aufgeregt an, als ob sich gleich herausstellen wird, dass sie meine lange verschollene Cousine ist.
    Während sie das letzte Stück Apfelkuchen vertilgt, fragt sie mit vollen Backen: »Wann ist dein errechneter Geburtstermin?«
    »Mitte Januar.«
    Lilli bleibt der Mund offen stehen, was bei der Menge von Kuchen, die sie hineingestopft hat, nur mäßig appetitlich ist. Sie schluckt hastig, bekommt dabei etwas in die falsche Röhre und hustet theatralisch. »Meiner auch!«
    Wir sehen uns an. Auch ich bin wie vom Donner gerührt.
    Dann reden wir beide gleichzeitig. Ich frage: »Wirklich?«, während Lilli ruft: »Das ist Schicksal!«
    Sie fällt mir um den Hals, und ich rieche süßes Teenie-Parfüm, Haarspray – und etwas, das genauso duftet, wie ich mir Lebensfreude vorstelle.
    »Hey, dann können wir uns ja gegenseitig begleiten!«, stellt Lilli fest, als sich unsere Aufregung gelegt hat.
    »Ja, das wäre schön«, bestätige ich, denn ich kann mir auf einmal nichts Schöneres vorstellen, als dieses verrückte Wesen an meiner Seite zu wissen. »Wo wohnst du eigentlich?«
    Lilli spielt mit ein paar Krümeln auf ihrem Teller. Sie wirkt wie ein beim Naschen ertapptes Kind. »Bis heute habe ich bei Freunden gewohnt. Da hinten an der Christuskirche. Aber die brauchen das Zimmer jetzt selbst.« Sie zeigt auf die Plastiktüten. »Ich wollte mich nach dem Kurs mal umhören.« Sie zieht ein Handy aus ihrer Tasche. »Ich habe die Nummer von einem Typen in Wilhelmsburg, da könnte ich wohl ein paar Nächte schlafen.«
    »Du hast keine Wohnung?« Ich bin fassungslos.
    »Erfasst, du Blitzmerkerin.«
    »Wieso denn nicht? Weiß das deine Mutter?«
    Lilli schüttelt den Kopf. »Erde an Franziska! Ich habe keine Wohnung, weil ich keinen festen Job habe, da ist alles viel zu teuer. Und meine Mutter … Ach, weißt du: Die ist ein Thema für sich.« Ihr Gesicht verschließt sich. Intensiv mustert sie ihren Kakaobecher. Dann hebt sie den Blick und grinst mich mit ihrem Pfirsiche-an-einem-Sommertag-Strahlen an. »Du hast nicht zufällig ein Zimmer frei?«
    Ich atme tief durch. Und dann höre ich mich klar und deutlich sagen. »Doch, zufällig habe ich eins. Und

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