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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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mich in der Hebammenpraxis bei Nina und Kim an. Die Schwestern sind beide um die dreißig, kompetent und freundlich. Nina wird mich bei der Geburt betreuen. Jetzt habe ich nicht nur einen Mutterpass, sondern auch eine Hebamme. »Meine Hebamme« – ein paarmal lasse ich diese Formulierung stolz in ein Gespräch mit Tina einfließen.
    »Deine Hebamme, deine Hebamme«, imitiert Tina meinen Tonfall. »Du redest so, als ob du ›mein Auto‹, ›mein Haus‹, ›meine Segeljacht‹ sagen würdest!«
    Insgeheim fühle ich mich tatsächlich so. Bei meiner Angeberei ertappt, kontere ich bissig: »Na, es hört sich jedenfalls besser an als ›mein Schönheitschirurg‹, ›mein Urologe‹ oder ›mein Venenarzt‹.«
    Bei dem Wort »Venenarzt« zuckt Tina zusammen. Sie hat sich vor zwei Jahren einige Krampfadern operativ entfernen lassen und wechselt jetzt hastig das Thema. »Hast du Lust, mal wieder zum Thailänder im Schanzenviertel zu gehen? Oder kotzt du immer noch?«
    Auf Tina kann ich also bei den vielen Details, die eine Schwangerschaft ausmachen, nicht zählen. Ein Tagebuch zu führen ist mir fremd. Aber mit irgendjemandem würde ich wirklich gern über die Veränderungen in meinem Körper reden. Nicht völlig allein über die Anschaffung eines Schwangerschafts-BHs nachdenken. Außerdem möchte ich ein bisschen Sport treiben – auch so ein merkwürdiger Wunsch, den ich am Anfang auf meinen labilen psychischen Zustand geschoben habe. Meine Sportlerkarriere endete mit dem letzten Schultag. Bis dahin hatte ich in der Schulmannschaft viel und gern Volleyball gespielt. Aber dann kam die Ausbildung, in einen Verein wechselte ich nicht – und seitdem bastele ich. Doch nach dem Abebben der Kotzerei fühle ich mich manchmal so beschwingt, dass ich mich gern mehr bewegen würde. Volleyball kommt natürlich zurzeit nicht in Frage.
    Meine Übelkeit legt sich also, meine Rührseligkeit nicht. Ich muss nur einen schmalzigen Werbejingle im Radio hören, und schon breche ich in Tränen aus. Der Anblick eines Kindes mit Eiswaffel oder eines Welpen treibt mir das Wasser in die Augen. Vergangene Woche habe ich sogar bei einem schwedischen Fernsehkrimi zwei Stunden durchgeheult: weil der Serienkiller, der acht Frauen bestialisch abgestochen hat, eine traurige Kindheit erlebt hatte.
    Meine Einsamkeit, die Verwunderung über meinen sich wandelnden Körper und meinen Bewegungsdrang führen dazu, dass ich mir von Nina den Flyer einer Yoga-Schule an der Hoheluftchaussee aufschwatzen lasse: Dort wird »Schwangerschafts-Yoga« angeboten.
    »Während der Schwangerschaft nimmt der Wunsch zu, nach innen zu spüren«, sagt Nina und empfiehlt mir, mich dort anzumelden. Ich erinnere mich an die schlaflosen Nächte, in denen ich in mich hineingehorcht habe.
    Im Flyer steht: »Schwangerschafts-Yoga soll vor allem zum Wohlbefindenden der werdenden Mutter beitragen.« Das gibt den Ausschlag. Mittlerweile muss ich bei der Erinnerung an das letzte Treffen mit Andreas nicht mehr schlucken, sondern lächeln. Ich will zu wenig? Von wegen! Ich erwarte beispielsweise Rücksichtnahme und kann geradezu zickig werden, wenn neben mir geraucht wird – sogar, wenn ich draußen in einem Straßencafé sitze. Ich will gesunde Nahrung und bin mittlerweile Stammgast im Reformhaus an der Osterstraße. Und ich will mein eigenes Wohlbefinden. Für mich. Für mein Baby.
    Weiter heißt es im Flyer-Text: »Schwangere Frauen sind besonders offen für ihre eigene Entwicklung.«
    Selbst Tina kann dagegen nichts sagen, schließlich klingt das nach der Entdeckung neuer Welten. Doch als ich ihr aus dem Flyer vorlese, dass es auch spezielle Partnerabende gibt, an denen gegenseitige Massagetechniken während der Schwangerschaft thematisiert werden, winkt sie ab. »Vergiss es.«
    »Aber ich bin bestimmt die Einzige, die da allein auftaucht«, jammere ich.
    Tinas Stimme klingt ungehalten. »Immerzu ist vom Wohlbefinden der Mutter die Rede. Nur in einem Halbsatz kommt das Wort ›Partner‹ vor, und du drehst völlig durch. Ruf doch erst mal da an. Vielleicht gibt es gar keine freien Plätze mehr.«
    Diesen guten Rat befolge ich und muss mir schon am Telefon meinen Irrtum eingestehen. »Nein, es ist sogar üblich, den Kurs allein zu belegen. Die Partnerabende sind Extra-Veranstaltungen«, erklärt mir eine freundliche Yoga-Lehrerin bei der Anmeldung. Ich stelle wieder einmal fest, wie sehr sich die Welt verändert hat: Mütter, die Kinder allein bekommen, Mütter, die fast fünfzig

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