Kleine Sünden erhalten die Liebe
Hinweise haben uns bisher zu weiteren Anhaltspunkten in Boston oder Cambridge geführt.«
Er ging zu meinem Computer und tippte Joy und Boston ein.
»Ich kann dir eine Anwaltskanzlei bieten, ein Angebot für einen Campingurlaub, Handtaschen und ein Haus in der Joy Street, das zum Verkauf steht«, berichtete Diesel.
Joy Street hörte sich in meinen Ohren vielversprechend an. Sie führte von der Beacon Street in gerader Linie nach oben auf den Hügel Mount Vernon. Das Massachusetts State House lag auf der rechten Straßenseite. Und die Joy Street war nicht weit entfernt vom Louisburg Square, wo wir den ersten Hinweis gefunden hatten.
»Joy Street hört sich gut an«, meinte ich. »Ich finde, wir sollten uns dort umschauen.«
»Jetzt?«
»Ja.«
»Nachts? Im Dunkeln?«
»Ja.«
Diesel grinste. »Du willst jetzt nur los, um nicht so schnell ins Bett zu müssen. Du hast Angst davor, dich nackt auszuziehen.«
»Ich habe keine Angst. Das ist doch lächerlich.«
»Wenn du es rasch hinter dich bringen willst, könnten wir uns sofort nackt ausziehen«, schlug Diesel vor. »Damit wäre dieses peinliche Voreinander-Ausziehen erledigt.«
»Und was würden wir dann tun?«
»Fernsehen.«
»Nackt?«
»Ja. Das wird bestimmt lustig.«
»Niemand sitzt nackt auf meiner Couch.«
»Carl schon«, entgegnete Diesel.
Der Gedanke war beunruhigend.
»Ich werde Kekse backen, mehr nicht«, erklärte ich. »Das mit dem Nackt-Herumsitzen kannst du vergessen.«
»Kekse. Hört sich auch gut an. Ausziehen tue ich mich später sowieso.«
»Wie überheblich«, sagte ich. Und wie wahr, fügte ich in Gedanken hinzu.
Die Bäckerei ist am Sonntagvormittag geöffnet. Die Kunden kommen auf dem Heimweg von der Kirche, nach einem Spaziergang mit dem Hund, nach dem Jogging am Morgen, nach einer Fahrradtour oder einem Powerwalk bei uns vorbei. Gegen ein Uhr haben sich alle mit genügend Zucker und Gluten eingedeckt, und die Bäckerei wird geschlossen.
Ich schlüpfte um 4.15 Uhr aus dem Bett und tappte im Dunkeln auf Zehenspitzen ins Bad. Katerchen beobachtete mich von seinem Platz am Fußende des Betts. Diesel schlief noch. Ich duschte rasch, trocknete mein Haar mit dem Fön und zog mir wie immer eine Jeans, ein T-Shirt und Sneakers an. Unten war alles ruhig. Carl schlief auf der Couch. Ich schaltete das Licht in der Küche an und machte mir Kaffee. Katerchen strich um meine Beine, und ich bückte mich, um ihn zu streicheln. Ich gab ihm frisches Wasser und ein wenig Trockenfutter.
Monroes Konstruktion stand immer noch auf meiner Arbeitsplatte. Ich fand, ich sollte sie lieber verstecken. Sie war gestohlen, und außerdem gab es noch ein paar andere Leute, die hinter ihr her waren. Ich trug sie zu meinem Wäschekorb, legte sie hinein und bedeckte sie mit schmutziger Wäsche.
Jetzt lag ein gestohlenes Bild unter meinem Bett, eine gestohlene Glocke in meinem Wäschetrockner und eine gestohlene kinetische Skulptur in meinem Wäschekorb. Keine sehr angenehme Situation.
Ich ging in die Küche zurück, aß einen Erdbeerjoghurt und trank rasch eine Tasse Kaffee. Dann zog ich mir ein Kapuzensweatshirt über, holte meine Handtasche und verließ leise das Haus. Draußen war alles dunkel. Selbst für Frühaufsteher war es noch zu früh. Die Luft war eisig, und am schwarzen Himmel zeigte sich eine schmale Mondsichel.
Ich ging die paar Schritte zu meinem Wagen und wollte ihn gerade aufschließen, als ich Wulf, teilweise durch Schatten verdeckt, vor mir sah. Mein Herz begann zu stolpern, und es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte.
»Ich dachte, du bist kein Morgenmensch«, sagte ich.
»Mein Morgen beginnt mit dem Sonnenaufgang.«
»Du bist doch kein Vampir, oder?«
»Nein«, erwiderte Wulf. »Aber ich habe ähnliche Vorlieben.«
Ich dachte an Diesel, der immer noch in meinem Bett schlief, und richtete meinen Blick von Wulf auf das Schlafzimmerfenster im oberen Stockwerk meines Hauses.
»Wenn ich dich hätte entführen wollen, wären wir schon längst weg von hier«, meinte Wulf.
»Er würde dich aufspüren.«
»Ohne Zweifel.«
»Was suchst du hier?«, wollte ich wissen.
»Ich bin Anarchie gefolgt. Sie versuchte, Hatchet anzuwerben, aber das ist ihr nicht gelungen. Er ist ein Narr, aber sehr loyal. Du wirst ihr nächstes Opfer sein, und du bist verletzlicher als Hatchet. Ich bezweifle, dass deine Schmerzgrenze so hoch wie seine ist.«
»Wo ist sie jetzt?«
Wulf erstarrte für einen Moment, als wollte er die Luft
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