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Kleiner König Kalle Wirsch

Kleiner König Kalle Wirsch

Titel: Kleiner König Kalle Wirsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilde Michels
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keinen
Hunger. Was sollte ich euch auch anbieten hier unten? — Oder habt ihr Appetit
auf blinde Fische?«
    »Oh, vielen Dank«, sagte Max und kaute
heftig auf seinem Raxel, um eine Übelkeit zu unterdrücken.
    »Aber ihr Erdmännchen?« wollte jetzt
Jenny wissen. »Was eßt denn ihr?«
    »Wir? Hoho, wir essen köstliche Sachen,
hochfeine Speisen, seltene, würzige Gerichte.« Kalle Wirsch kicherte genüßlich
in sich hinein. »Wenn ich an unser letztes Mahl denke, hoho!«
    »Wann war denn das?« fragte Jenny.
    »In der Erdmännchenfestung.«
    »Ich meine, wann es war.«
    »Wann das war? Unser letztes Mahl? Das
habe ich doch gerade gesagt: in der Erdmännchenfestung.«
    »Ich habe nicht gefragt, wo, ich habe gefragt, wann .«
    »Wo und wann ist in diesem Fall genau
dasselbe«, erklärte Kalle, und seine Stimme schwankte schon wieder bedenklich
vor Ärger. »Alles muß man ihnen erklären«, schimpfte er, »nichts wissen sie,
nicht die allerkleinste, allerbekannteste Tatsache! — Ich wiederhole: wo und
wann wir zuletzt gemahlt haben — ich meine geäst — hiii-käckäckäck, da habt
ihr’s! Wenn ich mich aufrege, kann ich nicht richtig denken. Also, unser
letztes Mahl haben wir gegessen vor ungefähr einem Jahr in der
Erdmännchenfestung.«
    Max und Jenny sahen sich ungläubig an.
»Das gibt’s doch nicht. So lange hält es kein Mensch aus.«
    »Ein Mensch nicht«, sagte Kalle hochmütig.
»Natürlich hält es kein Mensch so lange aus. Wir Erdmännchen hingegen essen nur
einmal im Jahr — und auch das nur, weil es uns Spaß macht, und weil
Versammlungen langweilig sind, wenn man dabei nicht an einer Tafel sitzt und
tafelt.«
    »Was eßt ihr denn zum Beispiel?«
fragte Jenny.
    »Hoho«, machte Kalle wieder und wiegte
seinen Wuschelkopf in Vorfreude. »Da gibt’s geröstete Heuschrecken und
Mottenklöße, Regenwürmer in Honig gebraten, gesottene Ahornwurzeln in
Erdölsoße, gespickten Hirschkäferrücken, Tausendfüßlerpasteten...«
    »Hör auf!« stöhnte Jenny. »Wer kann
das denn essen? Das verträgt mein Magen nicht einmal beim Anhören.«
    »Menschenmägen«, knurrte Kalle Wirsch.
    Auch Max verspürte ein inwendiges
Kribbeln, wenn er an Tausendfüßlerpasteten dachte, deshalb lenkte er das
Gespräch schnell von den Erdmännchenspeisen ab und fragte:

     
    »Ihr trefft euch also einmal im Jahr
in eurer Festung?«
    »Genauso ist es. Dann kommen die fünf
Völker zusammen. — Wie heißen sie doch noch?« Kalle bohrte seinen Finger in
Max’ Schulter wie ein strenger Schulmeister.
    »Die Wirsche, die Wolde, die Gilche,
die Trumpe und die Murke«, antwortete Max.
    »Aha, das sitzt ja. Hast du auch den
Namen der Festung behalten?«
    »Wiwogitrumu-Festung«, brachte Max
mühsam heraus.
    Kalle Wirsch war wieder zufrieden, und
Max dachte neidvoll an diese großartige Einrichtung, nur einmal im Jahr essen
zu müssen. Essen nahm so viel Zeit weg. Immer wurde man zum Essen gerufen, wenn
man gerade mit etwas ganz Wichtigem beschäftigt war.
    Kalle stand auf und beendete die Rast.
»Es dauert nicht mehr lange bis zum See der Finsternis. Vorbereiten können wir
nichts, weil wir nicht wissen, was uns erwartet. Wir müssen nur wachsam sein.«
    Damit setzte er den Weg fort. Max und
Jenny trotteten folgsam hinter ihm her.
     
     
     
    7. Kapitel

Am
See der Finsternis
     
    Der Schacht, in dem sie weitergingen,
führte wieder an einen schmalen unterirdischen Wasserlauf. Wie lange sie diesem
folgten, konnten die Geschwister nicht ausmachen; sie begannen allmählich, das
Gefühl für die Zeit zu
verlieren. Sie schritten mutig vorwärts, und sie fürchteten sich nicht einmal
vor der drohenden Gefahr, obwohl man das zumindest von Jenny doch hätte
annehmen können.
    Endlich blieb Kalle stehen. »Merkt ihr
was? Es wird immer dunkler. Seht ihr die schwarzen Felsen? Wir müssen gleich am
See sein. Größte Vorsicht jetzt!«
    »Es war wirklich so finster geworden,
daß sie trotz ihrer Nachtaugen nur schwache Umrisse der Gegend erkennen
konnten. Der See lag vor ihnen, glatt wie schwarzer Marmor, und die Felswände
ragten nach allen Seiten senkrecht aus dem Wasser auf. Kein Weg führte um den
See herum. Es gab nur zwei schmale Anlegeplätze für das Boot, einmal dort, wo
der Bach einmündete und da, wo er wieder hinausfloß. Zwischen diesen beiden
Stellen ruderte der blinde Fährmann hin und her; denn die meisten Wesen in der
Erde scheuten das Wasser und konnten ohne Fährboot nicht auf die andere Seite
gelangen.
    Kalle Wirsch

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