Kleiner König Kalle Wirsch
vorwärts.
Jenny und Kalle bemühten sich, den
Fährmann zu bändigen, indem sich Jenny auf seinen Rücken kniete und Kalle
Wirsch ihn an den grünen Haaren zog, wenn er unruhig wurde.
So gelangten sie ohne weiteren
Zwischenfall auf die andere Seite des Sees. Max steuerte das Boot in die
schmale Bucht und vertäute es an einem Pflock. Jetzt hatten sie endlich wieder
festen Boden unter den Füßen. Der Kahn lag im seichten Uferwasser, nun mochte
der Gefangene sich wälzen, wie er wollte, er konnte keinen Schaden mehr anrichten.
»Gib jetzt Antwort«, herrschte Kalle
den Fährmann an. »Wir können nicht viel Zeit mit dir vergeuden. Also, wer hat
dir diesen schändlichen Auftrag erteilt?«
Der Fährmann schien seine
hoffnungslose Lage zu erkennen, er gab allen Widerstand auf und jammerte:
»Schone mich. Mein Leben steht auf dem Spiel.«
Kalle Wirsch blickte ihn verächtlich
an: »Mein Leben hat auch auf dem Spiel gestanden. — Aber ich brauche deine
Antwort nicht, ich will dir sagen, wer es war: Zoppo Trump.«
Bei diesem Namen winselte der Fährmann
auf: »Er wird sich rächen, daß ich seinen Auftrag nicht ausgeführt habe. Wenn
er erst König ist, wird er sich bitter rächen.«
»Wer sagt dir, daß er König wird, du
Tropf?«
»Er selbst.«
»Und du glaubst ihm?«
»Wie sollte ich ihm nicht glauben, da
er mir doch einen so herrlichen Lohn versprochen hat.«
»Welchen Lohn?«
Der Fährmann fuhr sich mit der Zunge
über die Lippen, seine blinden Augen begannen zu kreisen, und er sagte
verzückt: »Ich soll Wächter werden am Delphinenteich in der Erdmännchenfestung.
Und neue Augen soll ich bekommen, ganz neue, meergrüne.«
»Was sollst du werden?« Kalle traute
seinen Ohren nicht. »Wächter am Delphinenteich? Bist du sicher, daß Zoppo Trump
Delphinenteich gesagt hat?«
»Gewiß, das hat er gesagt. — Oh, wie
glücklich wäre ich. Die Delphine sind die Lieblingstiere der Meermenschen.«
»Du Narr«, sagte Kalle, »es gibt
keinen Delphinenteich in der Erdmännchenfestung. Nicht einmal einen
Krötentümpel. — Und neue Augen...!« Kalle schüttelte den Kopf. »Betrogen hat er
dich, wie er alle betrügt, dieser Schwätzer.«
Während Kalle sprach, war der Fährmann
immer mehr in sich zusammengesunken. »Keine Erlösung«, stöhnte er, »es gibt
also keine Erlösung, bevor alles abgebüßt ist.«
»Von was sprichst du? Was muß abgebüßt
sein?«
»Meine Strafe. Sie haben mich
verbannt, weil ich meinem Stamm den Treueschwur gebrochen habe.«
Und dann erzählte er seine Geschichte,
die traurig genug war: Aus Feigheit hatte er einst seine Brüder im Kampf gegen
ein Ungeheuer verraten. Viele wurden dadurch in Tod und Verderben gestürzt.
Seitdem büßte er auf dem See in der Tiefe.
»Ich darf nicht eher zu den Meinen
zurückkehren, bis ich bewiesen habe, daß man meinem Schwur wieder trauen kann.
Zehntausend Schwüre muß ich halten. Wenn ein einziger gebrochen wird, ist alles
vergebens.«
»Wem gelten diese Schwüre?« fragte
Kalle.
»Jedem, der über meinen See zieht und
mir ein Versprechen abnimmt.«
»Kommt das oft vor?«
»O nein, wer sollte mich schon um
etwas bitten. Selbst Zoppo Trump hat nicht gebeten. Er hat befohlen und mir
Lohn versprochen. In den unzähligen Jahren, die ich an dieses Boot gebannt bin,
habe ich erst 289mal Gelegenheit gehabt, mich zu bewähren. Bis zu zehntausend
ist es noch lange, lange.«
Kalle Wirsch bedachte sich eine Weile,
dann sagte er: »Erwarte keine Gnade von mir. Du hast mir nach dem Leben
getrachtet.«
Wieder jammerte der Fährmann laut auf:
»Wenn du ausführst, was du vorhast, wenn du mich gefesselt in den See wirfst,
werde ich niemals erlöst. Mit gebundenen Händen und Füßen kann auch ein
Meermann nicht schwimmen. Ich werde auf den Grund sinken und dort ohne Hoffnung
leben bis ans Ende meiner Tage.«
»Das ist es, was du verdient hast«,
sagte Kalle ungerührt. »Kommt, laßt uns auf den See zurückrudern und diese
Sache zu Ende bringen.«
Max und Jenny hatten die Beichte des
verbannten Meermannes mit Schaudern angehört. Unbarmherzig waren die
Unterirdischen und die Wesen im Meer, hart waren ihre Strafen. Auch Kalle
Wirsch zeigte keine Gnade. Und obwohl der Fährmann übel an ihnen gehandelt
hatte, tat er ihnen fast leid.
»Laß es gut sein«, bat Jenny. »Er
leidet genug, und er kann uns jetzt nicht mehr schaden.«
»Ein Verräter schadet immer«, sagte
Kalle kurz.
»Du könntest ihn aber mit einem Schwur
binden«, riet Max. »Wenn er ihn
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