Kleiner König Kalle Wirsch
so feige und weibisch,
wenn ein Anker geworfen wird. Es ist gut, daß jetzt Schluß gemacht wird mit
dieser Art von Königen.«
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr«,
sagte Kalle. »Warum hast du mitten auf dem See den Anker geworfen?«
»Gleich wirst du verstehen, gleich.«
Der Fährmann ließ das Ruder los und tappte in die Mitte des Bootes. »Wir sind
allein, er und ich, ganz allein. Jetzt werde ich ihn fangen und ein bißchen
über die Bordwand halten, so — am ausgestreckten Arm, und ihn dann ein bißchen
loslassen, so — den kleinen Nichtschwimmer.«
Das also meinte die geheime Nachricht
mit der »Gefahr«. Kalle Wirsch sollte im See der Finsternis ertränkt werden.
»Nein!« schrie Jenny, die nicht länger
an sich halten konnte, »das darfst du nicht tun, du Scheusal.«
Der Fährmann fuhr herum. »Verrat!«
kreischte er. »Da ist noch jemand. Gemeiner Verrat, einen blinden alten Mann zu
hintergehen! Aber macht nichts, macht durchaus nichts. Dann hopsen eben zwei in
den See oder drei oder vier. Im Boot entkommt ihr mir nicht, ihr Knirpse.«
Er tobte so wütend umher, daß der Kahn
bedenklich schwankte. Seine Hände grapschten nach allen Seiten, und Kalle, Max
und Jenny mußten von einer Ecke in die andere fliehen, um seinem Zugriff zu
entgehen.
Obwohl sie Unheil erwartet hatten, war
doch alles so überraschend gekommen, daß Kalle nicht schnell genug einen Plan
zur Rettung bereit hatte.
Sie standen jetzt aneinandergeschmiegt
unter der Bank am Bug des Bootes. Max fingerte in der Hosentasche nach seinem
Messer, weil das die einzige Waffe war, die er mitgenommen hatte; da fiel
Kalles Blick auf ein Stück Schnur, das Max in der Aufregung mit aus der Tasche
gezogen hatte — und Kalles Plan war gefaßt.
»Schnell, nehmt das Raxel aus dem
Mund! Fesselt ihn!«
Die Kinder spuckten rasch ihre Wurzeln
aus und steckten sie in die Tasche. Dann sprang Kalle Wirsch dem Fährmann
zwischen die Beine, daß dieser stolperte und der Länge nach auf die Planken
stürzte. Sofort waren die Geschwister über ihm, und ehe er sich wehren konnte,
hatte ihm Max die Hände auf dem Rücken zusammengebunden.
Im Vergleich zu den Erdmännchen war
ihnen der Fährmann wie ein Riese erschienen, aber nachdem die Kinder wieder
ihre richtige Größe hatten, stellten sie fest, daß er sie nur um wenige
Zentimeter überragte. Sie wurden zu zweit leicht mit ihm fertig, zumal er sich
nach dem Sturz nicht so schnell aufrappeln konnte.
Die Schnur erwies sich als lang genug.
Max konnte ein Stück davon abschneiden und dem Fährmann auch noch die Füße
fesseln. Der wälzte sich wie eine Made und schäumte vor Wut.
Jenny, die im Augenblick der Gefahr
mutig zugepackt hatte, ließ sich schluchzend auf die Bank sinken. Sie hatte
ganz weiche Knie bekommen und brachte kein Wort heraus. Auch Kalle Wirsch und
Max spürten die Aufregung in allen Gliedern, und so hockten sie eine Weile schweigend
um den gefesselten Fährmann.
Kalle Wirsch stand als erster auf und
tippte dem Gefangenen mit seiner Fußspitze an die Stirn. »Siehst du, so geht es
einem, wenn man freundliche Leute schädigen will — wobei der Ausdruck schädigen sehr mild gewählt ist, wie du zugeben mußt.«
Der Fährmann schnaubte und spuckte um
sich, aber Kalle Wirsch kümmerte sich nicht darum. »Mich interessiert vor
allem, warum du das tun wolltest«, fuhr er fort. »Hat dir jemand den Auftrag
gegeben?«
Wieder kam nur ein Schnauben und Prusten
als Antwort, dabei warf sich der Gefesselte so heftig hin und her, daß das Boot
gefährlich schaukelte.
»Es wäre besser, ans Ufer zu rudern.
Du kannst das Verhör doch dort fortsetzen«, schlug Max vor.
»Ich hätte diese unerfreuliche Sache
am liebsten an Ort und Stelle abgewickelt — da, wo der See am tiefsten ist,
wenn du weißt, was ich meine.« Die letzten Worte waren an den Fährmann
gerichtet, der sofort aufheulte und sich noch ungestümer herumwälzte, bis das
Wasser ins Boot schlug.
Jenny schrie entsetzt auf: »Laß uns
weg von hier, ich will weg von diesem See. Er wird uns noch hineinstürzen.«
Offensichtlich legte es der Fährmann
darauf an, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, und es war wirklich das beste,
so schnell wie möglich das Ufer anzusteuern.
Während sie Halt suchten, zogen sie
den Anker herauf, und Max ergriff das Ruder. Er hatte nie zuvor ein Boot mit
einem Stehruder gefahren, aber er verstand sich meistens sehr schnell auf
alles, und nach einigen Versuchen brachte er das Boot geschickt
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