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Kleiner König Kalle Wirsch

Kleiner König Kalle Wirsch

Titel: Kleiner König Kalle Wirsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilde Michels
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halbe Stunde? Länger als eine halbe Stunde schafft es die
Batterie kaum.«
    »Fünf Minuten, zehn Minuten, eine
halbe Stunde!« wiederholte Kalle Wirsch kopfschüttelnd. »Da fängst du schon
wieder mit eurem dummen Menschenzeug an. Bei uns wird die Zeit nicht nach der
Uhr gemessen.«
    »Und woher wißt ihr, wie lange etwas
dauert?«
    »Wir wissen es eben immer. Ganz genau
wissen wir es. Ob das Minuten oder Stunden sind, spielt keine Rolle.«
    »Für meine Taschenlampe spielt das
schon eine Rolle«, sagte Max.
    Kalle fuhr mit der Hand durch die
Luft. »Wenn wir noch viel herumreden, könnt ihr gleich wieder nach Hause gehen,
dann ist Zoppo Trump König, bevor wir die Schattenquelle erreichen.«
    Sie setzten sich wieder in Bewegung,
Kalle Wirsch voraus, dann Max mit der Taschenlampe und ganz dicht hinter ihm
Jenny.
    Zuerst stiegen sie steil abwärts und
hatten bald die oberste Erdschicht hinter sich, in der sie durch Wurzelwerk und
bröckelnde Erde klettern mußten. Es wurde steiniger, und schließlich standen
sie im reinen Fels. Oft versperrten riesige, undurchdringliche Blöcke ihren
Weg, aber Kalle Wirsch fand immer Spalten und Risse, durch die sie schlüpfen
konnten. Der kleine Erdmännchenkönig war ganz in seiner Welt, und er erwies
sich als vorbildlicher Führer.
    Geredet wurde kaum etwas, nur Max
fragte hin und wieder besorgt: »Sind wir nicht endlich da?« denn der Schein der
Taschenlampe begann trüb zu werden.
    »Bald, bald«, murmelte Kalle dann
zurück, aber die Kinder wußten aus Erfahrung, daß »bald« eine sehr unklare
Zeitbestimmung war — und nicht nur bei den Erdmännchen. Wie oft hatten sie
schon zu Hause sehnlichst auf etwas gewartet—auf einen Besuch, auf eine
versprochene Kahnfahrt, auf die Ankunft der Paketpost — und jedesmal hatte man
sie vertröstet mit dem unbestimmten »bald«. Dieses »bald« stürzte einen in neue
Hoffnungen und immer neue Enttäuschungen.
    Wie lange dauerte das »bald«, das
Kalle Wirsch meinte?
    Die kleine Birne in der Taschenlampe
zeigte nur noch einen rötlich glimmenden Draht, von dem fast keine Helligkeit
mehr ausging. Max und Jenny konnten Kalle Wirsch kaum erkennen, der immer ein
paar Schritte vor ihnen herlief und zur Eile antrieb. Sie tappten und tasteten
halbblind durch die Felswände.
    Plötzlich schrie Kalle: »Hört ihr?
Jetzt müssen wir gleich da sein. Hört ihr nichts?«
    Die Geschwister hielten an und
lauschten. Aus dem Gestein drang ein glucksendes Geräusch wie von rieselndem
Wasser.
    »Die Quelle?« fragte Jenny.
    »Ja, die Schattenquelle. Wir sind da.
Nur noch wenige Schritte.«
    Das Rieseln und Glucksen wurde
stärker, und dann fühlten sich die Kinder von Kalle bei den Händen gefaßt. Er
tauchte ihre Finger in ein kühles Wasser und sagte: »So, nun reibt euch tüchtig
die Augen damit aus, bis sie klar werden.«
    Max und Jenny beugten sich über die
Quelle und rubbelten an ihren Augen herum. Drei-, vier-, fünfmal schöpften sie
die Hände voll und brachten frisches Wasser an die Augen. Jedesmal blinzelten
sie, um zu prüfen, ob sich schon etwas verändert hatte. Sie spürten ein
leichtes Brennen, aber sie mußten noch oft Wasser schöpfen, bis sie in der
Finsternis Formen und Gestalten wahrnehmen konnten.
    »Ich sehe!« rief Max endlich.
    »Ich auch«, sagte Jenny, aber dann
wich sie entsetzt zurück, denn was sie außer der Quelle erblickte, erschreckte sie
heftig: Seltsame Wesen, ganz platt wie aus schwarzem Papier geschnitten,
tummelten sich über der Quelle. Sie rollten sich zusammen und wieder
auseinander, sie wellten sich, drehten sich zu Spiralen, schwebten waagrecht in
der Luft oder richteten sich steil auf. Manche legten sich flach auf das Wasser
oder tauchten unter — und alles vollzog sich ganz lautlos.
    »Sind das... sind das Gespenster?«
wisperte Jenny angstvoll.
    Kalle Wirsch lachte. »Schatten sind
das, harmlose Schatten.«
    »Was tun die denn hier?«
    »Irgendwo müssen sie doch bleiben,
wenn auf der Erde kein Licht ist.«
    »Willst du damit sagen, daß es
Schatten sind, die wir auf der Erde werfen?« fragte Max.
    »Ja«, nickte Kalle, »hier versammeln
sich die Menschenschatten. Es gibt andere Quellen, wo sich die Schatten der
Tiere, der Bäume und all der anderen Sachen treffen. — Seht sie euch nur genau
an, es gibt kleine und große, lange dünne und kurze dicke, solche mit Bäuchen
und magere Klappergestelle. Alle, die nicht gebraucht werden, schlüpfen zur
Schattenquelle. Eure sind bestimmt auch dabei. Ihr braucht

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