Kleiner Musicalratgeber für Anfänger und Fortge
Minuten informiert die Stimme aus dem Off wieder, dass der Regen jetzt langsam aufhöre (ähm... hallo? Wahrnehmungsstörungen?!?) und man sich nun daran mache, die Bühne etwas zu trocknen, bevor es dann weiterginge. Arbeitssicherheit ist hier anscheinend Chefsache, denn auch Radulf Beuleke, seines Zeichens Intendant der FreilichtspieleTecklenburg, greift zum Schrubber und macht sich, genau wie der Gottessohn, höchstpersönlich an die (im Angesicht unvermindert starken Regens sinnlose) Aufgabe, die Wassermengen von der Bühne zu bekommen. Davon hat bestimmt nichts im Arbeitsvertrag gestanden, aber seine beherzte Hands-on-Mentalität macht den Wuppertaler Patrick Stanke noch viel sympathischer als er ohnehin schon wirkt. Wo sonst sieht man Jesus schon mit Schrubber über die Bühne fegen? Allein für dieses leicht surreale Bild hat sich der Eintrittspreis doch schon gelohnt, findet die Bloggerin und ist irgendwie amüsiert, aber auch erfreut darüber, dass man jetzt so tut, als hätte der Regen aufgehört.
Die A* * *karte gezogen haben nun allerdings Tom Tucker (Kaiphas) und Stephan Poslovski (Annas): Sie müssen in den kräftigen Regenschauer hinaus, der sich während »This Jesus must die« zum ausgewachsenen Unwetter mausert. Kaum sind die letzten Töne des äußerst beeindruckend interpretierten Songs verklungen, verkündet die immer noch humorvoll klingende Stimme aus dem Off, dass man nun doch noch mal unterbrechen müsste, um »die Wolke« abzuwarten. Das gibt den Zuschauern Zeit, über ihre Smartphones die Wetterseiten zu checken. »Unwetter in ganz NRW«, hallt es durch den Zuschauerraum. »Starkgewitterfront« über Tecklenburg. Bisher dachte die Bloggerin immer, dass so ein Gewitter verhältnismäßig schnell wieder abzieht. In Tecklenburg wurde sie jedoch eines Besseren belehrt. Auch Jesus, der mit seinen Jüngern unter dem schützenden Torbogen steht und immer wieder abwechselnd die Hände zum Himmel hebt oder zum Gebet um besseres Wetter faltet, beobachtet mit seiner Jüngerschar ungläubig die entfesselte Naturgewalt. Wie kann es denn auch sein, dass die Welt untergeht, noch ehe man ihn gekreuzigt hat? In der Tat scheint das jüngste Gericht unmittelbar bevorzustehen, und während Tecklenburg, durch die visuelle Gegenwart des Gottessohnes in Gelassenheit verharrt, teilt die Stimme aus dem Off trocken mit, dass man die Wetterverhältnisse und eventuell daraus erwachsende Beschwerden doch bitte nach der Show mit Petrus besprechen möge. »Er ist der Herr in dem blauen Gewand!«, fügt die Stimme noch erläuternd hinzu, während entsprechender Jünger (dargestellt von Frank Winkels) äußerst schuldbewusst dreinblickt.
Mittlerweile ist nicht nur die Bloggerin beeindruckt von der Tat sache, dass man in Tecklenburg trotz des verheerenden Wetters nicht daran denkt, die Zuschauer nach Hause zu schicken. »Wir ziehen das jetzt durch!«. Diesmal klingt die Stimme aus dem Off erfreulich determiniert und in der Tat geht es dann um ungefähr 21:15 Uhr weiter. Es blitzt und donnert weiterhin vereinzelt und teilweise wirken die Lichtblitze wie teure pyrotechnische Special-Effects. Zur auf zehn Minuten verkürzten Pause hin flacht der Regen etwas ab, und als Patrick zu seinem äußerst emotionalen »Gethsemane« ansetzt, hat der Regen so gut wie aufgehört. Unglaublich, aber wahr! Bald schon ist dann auch Adrian Beckers großer Moment gekommen. Mit»King Herodes Song« legt er einen beeindruckenden Showstopper hin und ist auch sonst der Mann des Tages, ist er doch als einziges Castmitglied so gut wie trocken geblieben. Das nennt sich dann wohl unverschämtes Glück!
Neben den bereits genannten Darstellern spielen auch Femke Sotenga (Maria Magdalena), Mischa Mang (Judas), Thomas Hohler (Simon), Marc Clear (Pontius Pilatus) sowie ohne Ausnahme das gesamte Ensemble, als ob es kein Morgen mehr gäbe und beweisen so höchst eindrucksvoll ihre Professionalität. Ohne mit der Wimpern zu zucken setzen sich die Jünger zu »The last Supper« auf den vollkommen nassen Bühnenboden. Patrick als Jesus hat es natürlich besonders hart erwischt, als er kurz vor der finalen Szene (»The Crucifixion«) auch noch halbnackt auf der Bühne liegen muss. Andererseits macht dies das Leiden Christi nur noch deutlicher.
Die Bloggerin hätte es rückblickend trotz des Unwetters und der Tatsache, dass die beiden langen Unterbrechungen einem durchkomponierten Musical wie JCS nicht gut tun, sehr bereut, hätte sie diese ganz besondere
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