Klemperer, Viktor
ein bisschen amerikanische Komik: der Schutzmann knüppelt den Kriminalbeamten statt des Verfolgten nieder. Kurzum Kino, Kino, Kino – lauter schon 1933 abgelatschte Einzelscenen, aber sehr phantasievoll u. spannend zum Ganzen verknüpfend. Dazwischen – selten, denn alles ist kurz wie Anordnung für ein Drehbuch, wie Canevas 1 der Comedia dell arte – die üblichen blasiert-resigniert-skeptischen Bemerkungen des Autors über Weltlauf u. Menschliches. Und aus all dieser dichterisch bedeutungslosen Spielerei u. all dieser blasierten Skepsis [sieht?] doch wiederder Wedekindsche u. geradezu kleinbürgerliche Moralist hervor. Denn was ist das happy end? Das große Fräulein hat sich dem vermeintlichen Mörder um der Sensation willen hingegeben, eine Nacht lang, u. mag dann bei Tage von dem Schuldlosen nicht compromittiert werden; das kleine Mädel hat Stich gehalten, Opfer auf sich genomen u. brav geliebt, vor dem Verdacht, während des Verdachts u. hinterher; u. nun ist der ihr Ferdinand bekehrt u. wird ihre treue Liebe mit Treue lohnen. Noch braver kann s gar nicht zugehen. Und so brav geht es auch in den ernsten Sachen * L.-Hs zu. – Aber amüsant liest er sich immer. Nur hatte ich gestern u. heute das schlechte Gewissen der Zeitvergeudung. –
Zur LTI . Gangster ist 1933 offenbar schon gang u. gäbe, aber noch aktuell. (Heute hat es Kriegs-Aktualität. Die anglo-amerik Terror flieger sind ständig Gangster oder Luftgangster.[)] – Einmal heißt es, eine Ehrensalve über dem Grabe habe schlagartig gekracht. Also hatte schlagartig 1933 noch nicht den politischen Clichésinn.
Montag Vorm. 13 Nov. 44 .
Reich 5. Nov. * Goebbels: In unserer eigenen Hand: Der Kampf, den wir auszufechten haben, kann nur durch einen wilden Fanatismus gewonnen werden. Dieser muß wie glühende Lava durch das ganze Volk laufen u. die nationalen Leidenschaften zu einem lodernden Brand heiligster u. entschlossenster Bereitschaft u. Begeisterung entzünden. Wir müssen ein Volk von Fanatikern werden .. Vorher im selben Artikel die tolle Lüge: Das deutsche Volk war niemals einiger als in diesem Kriege. Ich denke immer: höher geht s nimmer, u. dann geht es doch noch höher. Ich glaube mit dem nutrito 2 u. überernährten Artikel Fanatisch muß ich die Lti be LTI beginnen.
Im Funk – dazu Adjektiv funkgerecht – gibt es nach Schließung der Theater Klassiker-Funksendungen. Das Reich vom 29. X, Artikel Interimsformen des Theaters, druckt einen Wirts-Monolog als Vorspruch zu * Minna von Barnhelm als Hörspiel, an Stelle des ersten Aktes von * Eckart v. Naso. 3 (Unmöglich. Die Hand versagt nach dem Kohlenmartyrium) ( 14. 11. ) Die Vornotiz (von wem?) besagt, daß man das Stück aus 2 ½ Stunden Spielzeit auf 50 Minuten Sendung zusammengedrängt, daß man den Just gestrichen habe usw. Sie sagt auch noch ganz brav, daß dies alles Notbehelf u. Interimsform sei, ähnlich einer neulichen Notaufführung im Berliner Staatsschauspiel ohne Kostüme u. Dekorationen. Wie solch eine Aufführung wirkt, habe ich ja selber einmal in Berlin erlebt u. darüber in Bühne & Welt geschrieben. (Setzt ab die Bahre! Schüleraufführung, meine einzige Theaterkritik). Aber dann komen die großen Worte, die als Seuche sich auf alles werfen, was mit dem dritten Reich zu schaffen hat. Hier sei eine neue Konzentration aufs Wort, die nichts mit dem Rhetorischen u. Deklamatorischen zu schaffen habe, von hier aus könne Erneuerung der Schauspielkunst kommen, die einsehen werde, daß es nicht genügt, schön u. formvoll zu sprechen oder zu agieren, sondern daß ein ganzes Menschenleben in der schauspielerischen Leistung spürbar u. geformt sein muß, um im Wort seine letzte Konzentration u. Steigerung zu finden. Dazu, dies vorzubereiten in unserer Zeit des theatralischen Interregnums, habe der Funk die Mission .. Welche Phrasen! Hat nicht jede Schauspielkunst dieses Verlangen? Haben nicht * Kainz, die * Bergner, 1 * Sarah Bernhardt, 2 die * Duse 3 100 x diese Forderung erfüllt?? – Eine ganz ähnliche Geschwollenheit u. Anmaßung in einem Artikel der DAZ vom 29. August: Theater an der Wende. Rückblick u. Zukunftsaufgaben von * Ludwig Cremer. 4 Ganz allgemein: der natsoc Stil kennt keine Mitte, ist immer extrem; entweder extrem volkstümlich, Sprache der Marktweiber, oder extrem wissenschaftlich, geschwollenste Modeworte der Philosophie u. Aesthetik. Im besonderen: Die Menschen des bürgerlichen Zeitalters, auf dessen versinkendem Boden wir heute stehen,
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