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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Unsinnig, wie diese Todesnähe wirkt. Als ob mir der Tod nicht immer gleich nahe wäre. Aber die unmittelbare körperliche Nachbarschaft des Todes .. Doch gibt sich das bis zum nächsten Choc. Philosophie zu erlangen habe ich aufgegeben. Das ist wohl auch Temperamentssache. Oder Rassensache ? * E. ist bleibt gleichgültig. –
    Vor etwa 22 Jahren gab es eine komische Scene in der Holbeinstr, über die wir oft gelacht haben. * Walter Jelski schimpfte in den maßlosesten, insbesondere vatermörderischen Ausdrücken auf seine * * Eltern, u. als ihm gar nichts mehr einfiel, sagte er wütend: Wenn sie mich nun noch weiter ärgern, werd ich ordinär! Ganz so erklärt 1 * Hitler in seinem Pronunciamiento 4 zum 9. Nov., er habe seine Gegner immer mit Milde u. Güte behandelt, wenn sie ihn nun aber noch weiter befehdeten, werde er rücksichtslos vorgehen. Im übrigen ist das Manifest dürftiger Abklatsch früherer Manifeste: Juda ist Drahzieher, Europa muß befreit werden, bolschewistische Mordbestien ... Das Manifest ist erst am Sonntag 12. Nov. von Hi m ler verlesen worden. * Himmler scheint jetzt die eigentliche Allmacht zu besitzen. Das Gerücht, Hitler sei tot, ist überall verbreitet (und m. E. Unsinn).
    Abends . Bei * Steinitz traf ich * Frau Dr. Richter. Sie ist wirrvoll von Auslandsmeldungen (die wohl zu 75–98 % Gerüchte sein mögen, aber charakteristische). Danach ist Hitler aus irgendeinem Grund – tot oder Schlaganfall oder irgendwie unfähig – ausgeschaltet, in der Reichsdruckerei liegen 4 Millionen Eidesformulare auf Himmlers Namen, es herrsche Kampf um die Macht zwischen Himmler u. * Goebbels, des Sieges werde sich keiner von beiden freuen .. Inzwischen geht die amerikan. Offensive bei Metz weiter – heute heißt es Kämpfe bei Gravelotte 1 , u. mir wird * Spielhagen wieder lebendig: ‹Wo waren Sie am 16. August? Bei Gravelotte, Herr Graf!› –, u. die englische Offensive hat groß begonnen. Also wieder ein Abend des Hoffens. Aber sehr stark ist die Hoffnung nun doch nicht mehr. –
    Mittags war ich eben, kurz nach 12 mit dem Stapeln der letzten Eimer Kohlen fertig, da kam wieder, wie gestern, kleiner Alarm u. wurde wieder nach 20 Minuten abgeblasen. Zuhaus herrschte bedrückte Stimmung, weil nun * Frau Cohn mit ernstem Fieber erkrankt ist u. von ihrem * Mann inficiert scheint. Eine Bedrohung für uns alle hier in der dreigeteilten Wohnung. Ein arischer Arzt ist wesentlich schwerer aufzutreiben als * Katz, der seinerseits Frau C. nicht behandeln darf. Inzwischen ist aber nach vielem Hin u. Her * Fetscher hiergewesen; er hat beruhigend (ob aber aufrichtig?) festgestellt, daß es sich um keine Infektion, vielmehr um eine einfache Halsentzündung handelt.
     

 
    Donnerstag gegen Abend 16. Nov. 44 .
     
    Inhalt eines Tages: Abwaschen. Brüheweg. In sechs schweren Gängen zwei Centner Oberflöz, das markenfreie Heizmaterial, von der Salzgasse in den Keller geschleppt. Abgewaschen u. Kaffee gekocht. Vor Ermüdung eingeschlafen. * Bernhard St. primitiv unterrichtet. Zwischendurch keine 5 Seiten * Lamprecht. In all der Zeit * Eva unterwegs, unterwegs, unterwegs, mehr bettelnd als einkaufend. – – Überall die Gerüchte um * Hitler u. * Himmler, nirgends Sicherheit. Aber in Verbindung mit der großen Offensive geben sie doch Hoffnung. –
    Seit gestern ist * Stephan Müller verhaftet. Er mag sich seines Einvernehmens mit der Gestapo, seiner Anerkennung als einstiger Freicorps-Leutnant zu sicher gefühlt, den Stern zu häufig verdeckt haben. Vielleicht auch war er unvorsichtig im Punkte Rundfunk. Im ersten Fall Kz, im zweiten Tod.
     

 
    Freitag früh 17 Nov.
     
    Was steht als heutiges Programm bevor? Aufwischen der Riesendiele mit dem ekelhaften Closet u. dem zu putzenden Fenster, Aufwischen von Badezimer, Speisekamer, Küche; Nachm. Wanderung zu * Simon, der den behandelten Zahn endlich füllen wird – was jetzt nie mehr als 8 Wochen vorhält (ich weiß nicht, ob Alter oder mangelnde Ernährung die Schuld trägt). * E. s Obergebiß nähert sich der Vollendung. Schwarz ist ihre Behandlung durch S., eine schwarze Kette wird die Bezahlung der 250 M bilden. Die evakuierten * * Neumanns hinterließen Geld bei * Gertrud Schmidt. Davon erhält E. die Summe, zahlt an Simon, der ebenso schwarz u. ohne Buchung an seinen Techniker zahlt. Die ersparte Steuer, sagt er, bringe dem Techniker – ihm selber wohl auch! – einen Gänsebraten ein. –
    – – Via Eva, via * Winde: Ein Urlauber aus dem Westen

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