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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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waren (!!), diese Schicht ist verrottet, unfähig, feige, nervenlos, käuflich , sie wird nie wiederkehren, nur echte Volksstaaten werden bleiben, nur wir können Europa vor dem Bolschewismus bewahren, nur uns gehört die Zukunft.
    Gegen Abend . Kurzer Besuch * Steinitz . Ich fragte ihn, ob er Genaueres über die amerikan,. Fortschritte bei Aachen wisse. Nein, es interessiere ihn nicht, es gehe zu langsam, es werde noch ein Jahr dauern, die Deutschen haben eine unbegreifliche Gewu Gewure 1 ! Das ist die communis opinio, die vox populi Judaeorum. 2 Nachher las * E. beim Essen einen Artikel des Freiheitskampfes, die Angloamerikaner seien jetzt auf der ganzen Westfront zur vollen Generaloffensive mit 80 Divisionen angetreten, auch russische Generaloffensive im gesamten Osten bereite sich vor u. werde losbrechen, sobald der Schlamm vom Frost gefestet sei. Die Alliierten wollten eben in diesem Winter zu Ende kommen. Danach brachte * Frau Stühler von ihrer Luftwache als jüngste Radioäußerung zur Situation mit: die Angloamerikaner begännen einzusehen, daß ein Durchbruch nach Deutschland hinein unmöglich sei. – Was also glauben?
    * Lewinsky blieb aus, schon seit 14 Tagen, u. der Tag verging in peinlicher Lektüre:
    * Gerhart Hauptmann: Das Meerwunder. Eine unwahrscheinliche Geschichte mit 18 Zeichnungen von * Alfred Kubin. 3 S. Fischer, Berlin 1934.
    Über die Zeichnungen steht mir kein Urteil zu; irgendeinen gespenstischen Reiz kann ich in ihnen nicht verspüren. – Die Geschichte nenne ich vollkommen ungestaltet, unoriginell, senil, weder episch, noch balladisch gespenstisch, um all ihre möglichen Reize u. Spannungen durch ständiges Zerreden gebracht. – Im Klub der Lichtstümpfe (gescheiterte n Originale) in einer italienischen Stadt erzählte Mausehund, genannt Cardenio, ein Sterbender, vielleicht schon Gestorbener, der nicht zur Ruhe komt, sein zerrüttendes Erlebnis mit zwei Meerweibern. Die erste war seine Frau, starb auf einer Hallig, er schnitzte eine Galionsfigur Chimära nach ihr, ging wieder auf große Fahrt, erlitt Schiffbruch in der Südsee, baute dort eine Hütte mit dem überlebenden Koch zusamen, nagelte die Chimära an den Giebel. Gespenstische Abenteuer, das Holzbild lockt Galier an, Sirenengesang, Schauerklänge: ich will nicht Mensch sein! Auftauchen eines neuen jungen Meerweibes, einer Nereïde. Sie, in Gegensatz zur vampirisch mittelalterlichen Chimaera: antikisch. Dem Koch freilich zerbeißt sie die Kehle. Aber Cardenio soll ihr Triton sein, mit ihr glücklich werden. Daran hindert ihn der Vampyr Chimära, den er nun am Ende seiner Erzählung u. seines Lebens verbrennt. – – All das ist ein Mosaik aus übernomenen Märchen u. Sagenmotiven. Nirgends ist eine Vertiefung in Eigene, seelisch Neue, Bedeutende. Schlimmer: nirgends wird Märchenklarheit, am schlimmsten: nirgends wird gespenstische Stimmung erreicht. Und auch aller epische Fluß fehlt. Cardenio macht viele Worte, um auszudrücken, wie schauerlich diese u. jene Situation war. Der Sitzungsleiter unterbricht mit allerlei Reden. Der Erzähler des ganzen Vorgangs, buchstäblich der Referent, denn er macht sich während des Klubabends Notizen – auch er redet immer wieder mit vielen Worten in den Gang der Ereignisse herein. All das soll das jenseitige, Gespenstische der Angelegenheit unterstreichen, die unaussprechliche Stimmung ausdrücken u. stört doch nur u. desillusioniert doch nur. – Über dem Ganzen lastet eine peinliche Erotik, die sich als romantische Sehnsucht, ein bißchen * Baudelairisch, aufbläht. – Neu daran ist höchstens, daß die Seejungfer crawlt, daß der Sirenengesang an eine Operndiva auf einem Luxusdampfer erinnert, daß Cardenio die EINMALIGKEIT jedes Menschen – daß jeder Mensch einmalig ist, nie vorher gewesen u. nie wiederholbar, für ewige Zeit. Auf die Würde u. das Wunder dieser ungeheuren Tatsache berufe ich mich. – daß Cardenio in wenigen Sätzen diese Einmaligkeit unter 3facher Wiederholung des Wortes (2 x als Substantiv, 1 x als Adjektiv) unterstreicht. (S. 29). Das geht die LTI an. – Für * Hauptmann scheint mir wesentlich, daß er gleichzeitig nach Mittelalter u. Antike (Lebenssehnsucht, Jenseitigkeit, Nicht-Mensch-sein-wollen, Daseinsfreude) greift – u. beides nicht gestaltet. –
    Nun will ich mich belohnen u. einen neuen * Lernet-Holenia lesen.
    Zur LTI: Indem * Hitler aus dem Modewort einmalig eines seiner Lieblingsworte macht, betont er seine Vorliebe für das Individuelle, die

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