Klemperer, Viktor
der Keuschen Nacht. Es ist ein ganz richtiger Grundgedanke, daß Gehirnmenschen wie Walter u. Claudia die Situation schwierig finden, aber wenn sie sich lieben – u. sie lieben sich ja – werden sie mit großer Leichtigkeit u. Wonne über die Schierigkeit hinwegkomen – u. das lange Verweilen bei ihren Ängsten scheint mir in seinem aesthetenhaften Zerfasern peinlicher u. kälter u. unanständiger als nicht nur als der Decamerone, sondern auch als das 18 ième 2 u. selbst als Wiener Erotik u. Pariser Freudisme 3 von 1920.
Ich würde die Claudianovellen verstehen u. verzeihen, wenn sie vor dem ungleich menschlicheren Grischa geschrieben wären. 4 Aber nach ihm? –
Einmal sagt Claudia von dem ihr unsympathischen durch Selbstmord geendeten Musiker (Stern) .. er fuhr fort, u. ich hörte nicht auf, darüber zu spotten, nach dem Dilettanten von Bayreuth alles öffentliche Unheil den Juden zuzuschreiben (129 – * Chamberlain 5 ! ). Gleich darauf, sie klagt den Toten des Aberglaubens an u. gerät selbst in den Verdacht: Sind Sie ein Aufklärer?: Ich hasse das Trübe. Ich weigere mich, solange bekannte Größen ausreichen, um die Aufgabe zu lösen, Unbekannte einzusetzen .. Es scheint mir nicht gewissenhaft, alle Rechenschaft der Zahl x aufzubürden, die den Beruf hat, Auskunft zu verweigern. 131 (Aber gleich nimmt * Zweig auch den Abergläubischen durch einen Maler als mystischen Menschen in Schutz u. verdächtigt Claudia ein klein wenig weiblicher Parteilichkeit u. Eifersucht .. Imerhin, er bekennt hier für 1930 u. auch schon für die Zeit seiner Novelle, also etwa für 1905, ganz hübsch Farbe, denn schon damals war liberal für einen Künstler peinlich.)
Einmal (247, Passion) sagt Walter Rohme: Ein Mann, siehst du, erhält sein letztes Leben erst dadurch, daß er mit einem Volke fühlt, wie ihr Frauen erst, wenn ihr mit einem Kinde fühlt. Hier hört A Z. s Liberalismus auf. Das ist collektivistisch gedacht, nicht individualistisch; das steht im Gegensatz zum Aesthetentum. Es ist dem Nationalsozialismus u. Zionismus gemeinsam – u. Zweig ist Zionist. Was aber für diese Novellen außer Spiel bleibt, nur hier u. in dem Anti-Chamberlain = Wort sich andeutet.
Es ist klar, daß diese Novellen durch ihr Aethetentum u. ihren betonten Intellektualismus dem 3 Reich zuwider sein müssen. Spezifisch Jüdisches scheinen sie mir nicht zu enthalten. Das Thema der Hochzeitsnacht ist kaum sexuell u. gar nicht leidenschaftlich behandelt.
Beispiel des Aesthetizismus u. Überintellektualismus: Wenn Rohme Claudias Erzählung beim Thee eifersüchtig zuhört (Stern 107/108), sagt er sich: Es ist für meine Ohren ein feines liebliches Geräusch, dieses Singen silberner Löffel auf zartem Porzellan, aber ich habe keine Zeit dafür. Ich bin gezwungen, unausgesetzt an das zu denken, was sie verschweigen will. Er controlliert also gleichzeitig sein Aesthetentum u. seine Leidenschaft.
Rein pretiös: Cl. an den Flügel tretend, Sonatine 261: Cl. entblößte dem singenden Drachen die Zähne, in dem sie seine schwarze Oberlippe zurücklegte.
Les Extrêmes se touchent. 1 In den Übercultivierten steckt immer Sehnsucht nach dem betonten Unterschied der Geschlechter, immer Gretchen- u. * Götzideal. Am Anfang der Claudianovellen steht eine Discussion über eine Götz-Aufführung, über Götz u. Weislingen, u. Walter R. fühlt sich nicht Götz genug. Später (61/62 Dreizehntes Blatt, Exemplum klassizistischen Stils!, fühlt sich Cl. beglückt, als Walter R, der Philosoph, der über den Willen geschrieben hat, etwas hilflos sein angelaufenes Glas abwischt: Wußte er, daß wir Mädchen, die wir unsere Gatten unbedingt überlegen wollen, geistig u. seelisch überlegen u. verläßlich, solch kleine Schwächen u. Unvollkomenheiten zärtlich an ihnen lieben, weil wir sie daran ein bißchen beugen können u. unsere schwatzhaften Zungen daran neckend wetzen? (Classiz is mus, nicht Klassik; es ist ja verlogen, sie ist grande dame, sie hat studiert etc. etc., sie ist gar nicht wir Mädchen, zumal sie ausdrücklich das Abitur noch nicht als Selbstverständlichkeit macht, u. als Externe zum Mathematikstudium aufgefordert, dem Comissar antwortet: Danke Herr Geheimrat, ich studiere nicht. Ich wünsche nicht eine gnädig tolerierte Person zu sein mit Rechten zweiter Klasse .. 166/67 Das Album)
* Stefan Zweig: Amok. Novellen einer Leidenschaft. Leipzig Inselverlag. Widmung an * F. Masereel 2 1922; Edition 1924
Durchweg Novellen der Willenlosigkeit, der
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