Klemperer, Viktor
Autorname Horst Wolfram Geißler ist mir völlig unbekannt. Erscheinungsjahr ist nicht angegeben. 2) Unmittelbar für LTI wichtig. * Schwarz van Berk beginnt seinen Aufsatz: Wegen der Bomben (gerade sie haben unserer Rüstungsindustrie den Schwung gegeben: immer neue Waffen, Ersatzstoffe, unterirdische Fabriken etc.): Kann Deutschland in diesem Krieg technisch ausgepunktet werden? Ich wette: nein! Das Volkstümlichste: die Boxersprache. 3) * Walter Hübner: Der englische Freiheitsbegriff. Hübner war Oberstudiendirektor der Republik, Gentleman, Hg. der Neuphilol. Monatsschrift, an der ich mitarbeitete. Jetzt – jetzt, wo ihm die blutige Tyrannei u. Heuchelei u. Sklaverei des gegenwärtigen Zustandes genau so wenig verborgen sein kann wie mir, schreibt er vom Unterschied zwischen germanisch freedom u. romanisch-englisch liberty. Der Germane (Deutsche) kennt Freiheit (Singular) als kämpferisch erworbenen Wert der Persönlichkeit , die sich einordnet in das Ganze, sich dem Gesetz, der Gemeinschaft fügt, ihm ist Freiheit nur in Synthese mit Volksgemeinschaft denkbar, ihm ist sie Innerliches, Religiöses ( * Luthers, * Kants Freiheit); der Engländer kennt libertys (Plural) politische, wirtschaftliche Rechte, die man kauft, abtrotzt, individualistisch (Gegensatz zum tieferen persönlich, individualistisch hängt mit der Gleichmacherei des flachen Naturrechts, des flachen Liberalismus zusamen), individualistisch also ohne Rücksicht auf Staat, auf Volksgemeinschaft genießen will; der Engländer ist gar nicht imstande, unseren Volksbegriff[,] unseren Freiheitsbegriff (dessen ethische Synthese) zu verstehen. Das (germanische, sc. deutsche) Freisein ist nicht Abwehrhaltung gegen Bindungen, sondern selbstgewählte Einordnung in die Gemeinschaft der Sippe u. des Stames u. immer mit dem Treueverhältnis gegenüber dem gewählten Führer verbunden. Das ist die ‹positive› Freiheit, die * Hegels Geschichtsphilosophie der englischen Prägung mit ihrem ‹Pomp u. Lärm der formellen Freiheit›, aus Vorurteil u. Seichtigkeit entstanden, entgegenstellt. * Hübner weist in Fußnote auf sein Britisches Empire u. USA in Studien zur Auslandskunde 3 hin. – Beachte wie sich die LTI auch in ihren Schlagworten Sippe, kämpferisch etc. hier breitmacht. Die Sprache bringt s an den Tag. Das Ganze: La traîtrise des clercs. 5 In früheren Jahren sah ich den Namen * Herbert Schöffler 4 im Reich. In Berlin sitzt * Neubert , In Dresden * Kühn u. * Janentzky . ( * Bäumler ist ehrlicher, er war schon vor 33 Nazi.) Aus Hübners natsoc. Prosapoesie fische ich noch als LTI-charakteristisch heraus: Das ewige Ringen um die Freiheit u. das tiefe Erleben des Begriffes war stets das Herzstück des deutschen Denkens .. (eine Aufzählung von * Meister Eckehart über Luther, Kant etc. zu * Treitschke, auch * Schiller wird nicht vergessen) .. Es ist aber stets mit der Philosophie der Gemeinschaft verbunden und geht andere Wege als der ihm innerlich wesensfremde politische Liberalismus . – (s. auch 21. XII.)
Zu * Goebbels oben citiertem Satz von seinen publicistischen difficultés. Was ist eine Meisterlüge? * E. sagte mir einmal, jede Lüge müsse einen wahren Ausgangspunkt oder ein Teilchen Wahrheit enthalten, um Wirkung zu üben, um glaubhaft zu sein. Das Meisterhafte an Goebbels Satz besteht darin, gleichzeitig ganz wahr zu sein (nämlich absolut genomen), u. ganz, ja zwiefach verlogen (nämlich in G. s Praxis dem eigenen Volk u. dem Ausland gegenüber.)
20. Dez. 44
Mittwoch Vorm. 20. 12. 44 .
Obige Notizen zur Zeitungslektüre begann ich doch noch gestern Abend, schrieb sie aber zum größten Teil erst jetzt. Ich bin jetzt nach einjähriger Pause wieder ins Vorlesen geraten; am späten Nachm. u. am Abend liegt E. hier vorn auf dem Sopha. Ich las erst zwei Drittel vom * Bengt Berg, dann ward er uns zu dumm. Seitdem * Richard Katz: Schnaps, Kokain u. Lamas. Kreuz u. quer durch wirres Südamerika, Ullstein 1931. Das zerlesene Buch, Reisebriefe vom Juli 30–Juli 31, ist fraglos durch reinen Zufall in der Sowjetbibliothek (die Dresdner Bücherstube, Reichstr., hat einen richtigen Sowjetstern im Stempel) stehen geblieben. Ich schätze es sehr, ich schätze den ganzen Mann sehr, aus doppeltem Grunde: 1) er plaudert, einfach u. feuilletonistisch, ganz unpraetentiös, u. dabei ist er durchaus nutrito, 6 geht immer wieder bei Plauderei u. Witz, mitten durch sie hindurch, nicht trotz ihrer, sondern induktiv von ihnen aus, in
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