Klemperer, Viktor

wieder so anmutig u. bei aller Anmut doch auch substantiell, wie alles was ich von R. Katz kenne. Trotz u. wegen seines jüdischen Feuilletonismus. Dawke 7 ! Ich sehe bisher nichts, was mich in meiner Arbeit förderte – aber warum nicht auch einmal ein uninteressiertes Vergnügen? Ich habe das Buch von * Bernhard Stühler entliehen, der schon die zweite Woche krank liegt – wohl eine im Körper umherziehende Grippe. Seinem Kranksein, das schwer auf seiner Mutter lastet, verdanke ich: 1) manche Brod- u. sonstige Eßrestgabe, 2) ein späteres Aufstehen, 3) Ausfall der Unterrichtsstunden, 4) manchen Dr Katz-Besuch.
    Im Laufe des Tages stellte ich gestern fertig – Lektüre u. Dispositionsblatt:
    * Philipp Bouhler: Kampf um Deutschland. Eine Lesebuch für die deutsche Jugend[] Centralverlag der NSDAP, Frz Eher Nfg. GmbH. Berlin, 1941 1401–1450 Tausend. Vorwort datiert Frühjahr 1938.
    1) Das Buch ist auf friedlicher Höhe u. vor Durchbrechung des Nationalitätsprincips , 1 vor dem Protektorat, vor München, nach Oesterreich-Annexion publiciert. Es ist bis 41 in anderthalb Millionen Exemplaren verbreitet .
    2) Es ist für die reifere Jugend gedacht. Laut Vorwort auf Spaziergang mit u. Anregung von * Hitler, dem es gewidmet ist, eine Geschichte der NSDAP für die deutsche Jugend. Deßhalb wird Äußeres u. einfach Einprägsames stark betont. Die Hofbräuschlacht u. der Kampf in Koburg 2 citiert aus Mein Kampf, die Berliner Pharus-Saalschlacht im * Goebbelscitat, ein Flug ganz novellistisch mit Landschaft aus * Herbert Seehofer Mit dem Führer unterwegs. 3 Auf der andern Seite ist aber doch von Politik die Rede, wie man zu Erwachsenen u. zu Leuten mit einiger Vorbildung spricht. (Ich erhielt das Buch von * Frau Jerisch, es war eine Zwangsanschaffung ihrer 16jährigen * Tochter, die es an in einer Fortbildungs- oder Fachschule, offenbar als 14 od. 15jährige hatte benutzen müssen, u. es nun verbrennen wollte)
    3) Und hier ergibt sich dieses Problem: Hitler spricht in Mein Kampf schamlos offen von der Notwendigkeit u. den Mitteln des Massenfangs. Ich hielt das für esoterische Lehre – denn wieviele Leute sind imstande, das Buch von sich aus durchzuarbeiten? (Die Vulgata 4 ist ja den katholischen Laien verboten). Nun aber wird in diesem Lesebuch zwar nicht ganz so offen u. ausführlich aber doch deutlich genug von der Notwendigkeit der Massenbetäubung geredet. Ist das auch noch esoterisch? Zwei Möglichkeiten: a) Man hält selbst diese Schüler u. Schülerinnen noch nicht für Masse, sondern schon für die Gebildeten; b) man schmeichelt jedem Einzelnen, er sei noch nicht Massenelement sondern Individuum, mit ihm könne man reden u. reiht ihn doch trotz aufgedeckter Karten oder gerade durch das Aufdecken der Karten als Massenatom ein. Ich neige zur Annahme b, u. * E., der ich das vortrug, tut es auch.
    4) Physische s Brutalität als Straßen- u. Saalkämpfe, Propaganda durch Demonstrationen, Reden – realisierte Reden mit Hilfe des Autos u. Flugzeuges –, Flugblätter, Plakate, zuletzt durch den Reichstagsbrand, Prunkbauten nehmen in diesem Jugendbuch den obersten u. breitesten Platz ein. Den zweiten die Organisationsmaßnahmen, die ja auch zur Propaganda gehören. Den dritten, in Schlagworte zusammengepreßt, kaum erörtert, die politischen Dogmen unter Beschimpfung der Andersdenkenden. Central: der bindungslose Liberalismus, eng verknüpft mit der Judenfrage u. schuld an der verbrecherischen marxistischen Lehre, die von einem * Juden ausgeht 5 u. zum jüdischen Werkzeug wird, mit dem der Jude die Weltherrschaft anstrebt.
    5) Zweimal wird aufs stärkste betont, daß man sich nach dem Zusamenbruch des ersten Umsturzversuches der republikanischen Freiheit bedient, um die Republik zu stürzen. 1) Über die Angriffe des Völkischen Beobachters (die Prozesse u. Verbote, denen er ausgesetzt war – später dasselbe über den Angriff 6 ): Zwar ließ die demokratische Pressefreiheit der schwarz-rot-goldenen Republik damals einer Zeitung einen verhältnismäßig weiten Spielraum 48. Schroffer, umfassender, entscheidender noch: Die Verfassung der Novemberrevolution mit ihrer demokratischen Grundlage bot die Möglichkeit, durch unermüdliche Propaganda mehr u. mehr das Volk für sich zu gewinnen, im Zuge der Wahlen in die parlamentarischen Volksvertretungen einzudringen u. so auf durchaus gesetzmäßigem Wege sein Ziel zu erreichen. Man mußte also die Demokratie mit ihren eigenen Waffen schlagen 72. Von Anfang an, als