Klemperer, Viktor

Offizier, Arzt, Oberlehrer .. mit Rührung, u. seit Jahr u. Tag mit qualvollem Neid. –
    Wenn ich mein 18. Jh. noch einmal schreibe – das Wann wird mir mit jeder Woche zweifelvoller – dann wird der neue * Th. Mann seine Rolle darin spielen.
     

 
    Mittwoch 31. Januar .
    Am Montag die Übung 6–8 ausgefallen: Weihestunde der Studentenschaft zum Jahrestage der Machtübernahme * Hitlers am 30. I. 33. An eben diesem 30 Ankündigung * Goerings: er werde die monarchistischen Verbände auflösen u. gegen diese Staatsfeinde genau so hart vorgehen wie gegen die Linke. Das hat uns gestern ein klein wenig aufgerichtet. Die Regierung vernichtet andauernd ihre Feinde, betont andauernd, daß es keine Partei mehr in Deutschland gebe außer der NSDAP., siegt andauernd entscheidend. Ganz wie Deutschland im Weltkrieg. Maßlos cynisch ist das Unterdrücken der Rechtsparteien: sie haben nichts für den Staat A. H. s getan, erklärt Goering eisenstirnig. Ohne die Deutschnationalen hätten aber die NS. unnötig unnötig hier das ganz niemals ihre 51 %, ihren Kanzler, ihre Vollmacht bekomen. Von Herzen gönne ich den Deutschnationalen den furchtbaren Betrug – u. doch sind sie meine Hoffnung.
     

 
    Freitag 2/II
    Vorgelesen: 1) * Sinclair Lewis Die Benzinstation. Claire Boltwood als Chauffeurin fährt ihren Vater (Großkaufmann aus New-York, Nervenzusamenbruch, Erholung) nach Seattle zu Verwandten. Abenteuer, Sitten, Landschaften. Es verliebt sich in sie u. folgt ihr der junge Garagemann Milt Daggett. Er erweist ihr Dienste, ist ihr Ritter, wird ihr Freund. Er beginnt in plötzlichem Entschluß in Seattle sein Ingenieurstudium. Der ungeheure soziale Abstand der beiden. Claire schwankt zwischen Luxus, Ihresgleichen – der tüchtige auch herzenstüchtige Geschäftsmann Jeff Saxton, die snobistischen Verwandten in Seattle – u. der jungen Volkskraft Milts. Sie wählt schließlich Milt. Die sozialen Unterschiede zwischen dem reichen New-Yorker Mädchen u. dem armen jungen Mann aus dem Mittelwesten sind stärker u. schroffer betont als bei uns solche Unterschiede in der Vorkriegszeit zwischen Prinzessin u. Chauffeur. Sehr frappierte es mich, wieviele ähnliche Züge zwischen dem positiv heldisch gewerteten Milt u. dem Clyde in * Dreisers amerikanischer Tragoedie vorhanden sind. Beiden Jungen ist der Luxus, das Raffinement der Reichen ein religiöser Wert. Clyde wird darum zum Mörder; Milt rafft sich u. zieht die Geliebte zu sich hinüber – auf wie lange?
    Prachtvoll die Schilderung der Landschaft u. der Automobilfahrt schlechthin. 2) In diesem Punkt der Reise durch den amerikanischen Norden wurde uns das Buch ergänzt durch: A. E. * Johann: []Mit 20 Dollar in den wilden Westen. Schicksale aus Urwald, Steppe, Busch u. Stadt . 1 Der Autor, junger Journalist schreibt 1927/28 für die Voß. Ztg; er hat nur als Vorschuß Geld für eine Überfahrt erhalten u. schlägt sich drüben als Farmarbeiter, Holzfäller, Erntehelfer in British Canada durch. Soweit er exakt das Land schildert, die Prairie, den Urwald, die Arbeit, die Einwanderer, den Schneesturm, die Einsamkeit, ist er ganz ausgezeichnet. Doch leidet das Buch schwer unter zwei Mängeln: einmal unter der ständigen Eitelkeit u. Selbstbespiegelung des auf seine mâles vertus 2 stolzen Verf. s, zum andern durch auf seine Meinung ein Dichter zu sein: er flicht immer wieder in die schlichten Schilderungen novellistisch aufgemachte Erlebnisse u. Charakteristiken ein die ganz kitschig kitschig, da u. dort abgeklatscht u. ganz nichtssagend für sein Thema Amerika sind. Am übelsten der Novellenkranz um Vancouver. Zieht man das reichliche Drittel dieser Novellistik ab, so bleiben zwei Drittel gute Schilderung des Lebens in canadischer Landschaft u. Arbeit. – Nach der Lectüre las ich statistische Angaben im Knaurschen Weltatlas nach: Reichlich 18 mal so groß als Deutschland ist U.S.A., noch einmal reichlich 18 mal so groß als Deutschland ist British Canada, und auf diesen ungeheuren Flächen wohnen in USA. nur doppelt soviele Menschen wie in Deutschland, nur ein winziger Bruchteil Siebentel der deutschen Einwohnerzahl in Canada. Das faßte mich ungeheuer an.
    Aber wie ist in den wenigen Jahren seit Johanns Buch alles anders geworden. Damals scheint es noch eine Einwanderungsfreiheit für Amerika gegeben zu haben. Sie fehlt heute. – Und er spricht von der deutschen Republik, er nennt unter den angesehensten drüben verbreiteten Autoren, die * Brüder * Mann, 3 * Emil Ludwig und