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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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waren es Seeleute.) Und ferner ist Doyle der alte fahrende Ritter, der dem Unglücklichen zu Hilfe komt. Einmal beschützt er den Totschläger eines brutalen Gatten u. Liebhaber der Frau vor dem Gericht.
    Das Bändchen hatten uns * * * * Köhlers geliehen.
     

 
    16. II Freitag Abend
    Bei * * * * Köhlers sahen wir auch den alten Struwelpeter als 80 Pf-Inselbändchen neu gedruckt. Das erweckte eine Kindererinnerung in mir, von der voriges Jahr noch * Grete hier sprach. Ich habe mich als kleiner Junge vor den Bildern dieses Buches, den gräulichen langen Nägeln, der fingerkappenden Schere so entsetzt, daß man es fortlegen mußte. Grete behauptet, [aus] solcher Hypersensibilität hätte man den ersten Schluß auf meine aesthetischen Qualitäten gezogen. Ich halte einige dieser Bilder noch heute für greulich, u. ein Kind kann ihre Komik nicht verstehen. (Ähnlich hörte ich * Georg einmal die Grausamkeit einiger * Max = u = Moritz = Bilder 4 tadeln. Im Struwelpeter aber geht es nicht ums Grausame, nicht um Ethisches, sondern einfach ums Widerwärtige, um Aesthetisches also.)
    Es ist nun doch noch eine neue Verfügung herausgekomen, derzufolge diejenigen Dozenten über den 24. II hinaus lesen dürfen, bei denen nicht die Mehrzahl der Studenten zum Arbeitsdienst muß. Ich werde also bis Ende des Monats lesen.
    In der Fakultät sitzen jetzt Privatdozenten u. Studentenschaft; * Annemarie zeigte in ihrem medizinischen Fachblatt heftige Angriffe gegen die medizinischen Ordinarien, zugunsten der Nichtordinarien (u. Heilkundigen); meine Lektorin * Irene Papesch betont ein übers andere Mal, daß ihre Privatschüler jetzt viel besser behandelt werden als unter früheren Regierungen – mir scheint I. P. überhaupt sehr regierungsfromm geworden. Alledem liegt das gleiche System zugrunde: man stützt sich auf diejenigen, die bisher sich zurückgesetzt fühlten, auf die (wirklich oder scheinbar) Entrechteten, auf die Hungrigen, auf die Masse der kleinen Leute. Früher hieß es in solchem Fall: Gegen die Großkopfeten, oder gegen die Kapitalisten! Jetzt, viel zugkräftiger, gegen die Juden!
    – Antwort von Teubner auf mein Schreiben; ich werde es beilegen, will aber erst diesen Briefwechsel an * Voßler schicken. T. stützt sich auf Imponderabilien u. lehnt Antwort auf meine Fragen ab. Das beste, ich schriebe mein Buch gleich in französischer Sprache; er habe auch * Wartburgs Sprachgeschichte 1 gleich französisch herausgebracht! – Ich will die gegenwärtige Depression überwinden. Ich will dieses Buch schreiben u. will es deutsch schreiben, wie ich es deutsch denke u. fühle. Und ich will diesen Briefwechsel einmal in meine Lebensgeschichte aufnehmen. In majorem contumaciam status praesentis. 2 Während ich schreibe, ist unten ständiges Singen u. Marschieren u. Musicieren. Aufmarsch zum Fackelzug vor dem Reichsstatthalter * Mutschmann. 3 Große Annonce in der Zeitung: Deutsche Männer u. Frauen! Marschiert alle mit uns! Kein Volksgenosse darf fehlen Etc. etc.
    Ich sprach heute in der Landesbibliothek die lammfrome u. bejahrte Bibliothekarin und Pfarrerstochter * Roth . Wir schimpften gemeinsam auf * Gusti Wieghardt. Aber auch die Rothin: es sei ihr fast recht, daß die Tyrannei täglich wachse. Um so rascher müsse das Ende kommen. Sie sagte auch noch merkwürdigerweise, sie empfinde als Gutes der Lage, daß sich jetzt mehr und offener als früher ernsthaft denkende u rechtlich fühlende Menschen herzlich aneinanderschlössen. Das ist vielleicht reichlich optimistisch, denn überall herrscht doch äußerste Spionen = u. Denunziantenangst; aber es hat mich doch gefreut.
    Bei alledem u. trotz aller Dawke-Vorsätze 4 kome ich in der Arbeit nicht vom Fleck.
    Seit einer Woche lese ich den dreibändigen Titan 5 von * Theodore Dreyser vor.
     

 
    Mittwoch 21. II Vorm.
    Am Sonnabend (17. II) hatten wir nach längerer Pause Leute bei uns zum Abend: Die vier anständigen * * * * Köhlers, * * Kühns und einen * Bruder der Frau, dreißigjährigen Landwirt ohne Stellung, sympathisch, einfach zutunlich, zierlicher dunkeläugiger Mensch mit schwerer Narbe Narbe am rechten Auge (unstudiert, also von Unfall). Kühn gibt nach wie vor dem Régime günstige Zeitdiagnose. Es werde sich vielleicht abändern aber bleiben. Man müsse das auch hoffen, sonst breche das Chaos herein. Er vergli verglich es den Jakobinern, der Herrschaft der kleinen Leute. Er sagte, in 100 Jahren, wenn all die Verlogenheiten und kleinen Übel vergessen sein

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